Die Hintertreppe zum Quantensprung
dem politischen Aspekt.
Er sah sich auf dem Weg zur Atombombe, was er diplomatisch nutzen wollte – unabhängig von den Machtverhältnissen.
Der Friedensforscher
Konzentrieren wir uns auf den letzten Satz des obigen Zitats: »Die Institution des Krieges überwinden« – mit diesem Gedanken treffen wir schon früh auf ein Leitmotiv, das sich durch von Weizsäckers Leben zieht. Er benutzt die Wendung in seinen Briefen immer wieder – etwa wenn er im Sommer 1987 als »sehr ergebener« von Weizsäcker dem »sehr geehrten Herrn Staatsvorsitzenden« Erich Honecker erklärt, »dass bei der bestehenden Struktur der Menschheit« der Bau von Atomwaffen »praktisch nicht würde verhindert werden könne[n]« und »auf die Dauer die Überwindung der Institution des Krieges als die einzige Lösung zu sehen« sei. Das Thema bleibt uns bis zuletzt erhalten, wenn von Weizsäcker im Juli 1995 dem französischen Präsidenten Jacques Chirac nicht nur darlegt, warum sein Land auf die geplanten Atomwaffenversuche im Pazifi k verzichten solle, sondern auch, worum es allgemein geht: »1. Wenn Atombomben möglich sind, so wird es in der heutigen Menschheit jemanden geben, der sie herstellt. 2. Wenn Atombomben hergestellt sind, so wird es in der heutigen Menschheit jemanden geben, der sie militärisch einsetzt. 3. Die Atombombe ist ein Weckersignal; sie ist das deutlichste Beispiel moderner Waffentechnik. Der Menschheit wird damit auf die Dauer nur die Wahl bleiben, entweder die Institution des Kriegs zu überwinden oder sich selbst zugrunde zu richten.«
Leider erfahren wir nicht und nirgendwo im Ansatz, wie von Weizsäcker diese Institution überwinden will und wie sie überhaupt eingerichtet wurde. Und so wirkt von Weizsäckers dritte Karriere, die des Friedensforschers, eher schal, unehrlich und aufgesetzt.
Sie beginnt auf dem Hamburger Lehrstuhl für Philosophie, auf dem er 1957 die Göttinger Erklärung gegen die Ausrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen formuliert. 1961 initiiert er ein Tübinger Memorandum, das sich gegen die atomare Aufrüstung wendet und für eine Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze plädiert. Seine Appelle finden vor allem Gehör, seit ihm 1963 der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen worden ist und er in der Dankesrede eine Weltinnenpolitik fordert, um die es heute erneut geht – allerdings unter dem geschwollenen Namen »Global Governance«. Von Weizsäckers öffentlicher Ruhm steigt und steigt. Kein Hörsaal ist groß genug, um die Menschen zu fassen, die seine Vorlesungen hören wollen. Diese beinhalten vor einem philosophisch-physikalischen Hintergrund insbesondere Vorschläge für Friedensaktivitäten, durchleuchten die Ernährungslage der Welt, plädieren für die Gründung sowohl einer »Forschungsstelle für Kriegsverhütung« als auch einer »Forschungsstelle für westliche Wissenschaft und östliche Weisheit« und stimmen uns auf einen »Garten des Menschlichen« ein.
1970 richtet die Max-Planck-Gesellschaft am Starnberger See für von Weizsäcker ein Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen in der technischwissenschaftlichen Welt ein, in dem er Themen wie die Gefahr von Atomkriegen, die Umweltzerstörung und den schwelenden Nord-Süd-Konfl ikt erkundet. 1980 tritt er in den Ruhestand, der bei ihm eher als Unruhestand zu bezeichnen ist, weil er sich nach der Emeritierung als Vertreter eines »radikalen Pazifi smus« präsentiert, was ihm als »das christlich einzig Mögliche« erscheint. So versucht er mit seiner Autorität in ungezählten Vorträgen und Aufsätzen bei den Menschen einen »Bewusstseinswandel« in die Wege zu leiten und unternimmt diese Anstrengung unter dem Motto: »Nicht Optimismus, aber Hoffnung habe ich zu bieten.«
Seine politischen Bücher zum Frieden werden vielfach Bestseller – etwa Der Weltfriede als Lebensbedingung des technischen Zeitalters (1969), Der ungesicherte Friede (1975) und Der bedrohte Friede (1981), um nur einige Titel zu nennen. Von Weizsäcker kommt in diesen Texten immer wieder auf die Institution des Krieges zu sprechen, die als unvermeidlich hinzunehmen, er sich weigert. Doch wie es den Menschen gelingen kann, diese elende Institution abzuschaffen, wissen wir, wie gesagt, bis heute nicht. Aber wir wissen vieles bis heute nicht – und vielleicht ist es besser so.
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David Bohm (1917–1992)
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Die implizite Ordnung des Ganzen
David Bohm wurde als Sohn eines jüdischen Möbelhändlers in einem kleinen Dorf in
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