Die Hintertreppe zum Quantensprung
Verschränktheit der Quantenwelt gibt, die genau auf das Ganze hinweist, auf das Bohms Denken letztlich hinauswollte. Wir werden diese Entwicklung genauer kennenlernen, wenn wir den Schotten John Bell treffen, der mehr oder weniger direkt für diesen Aspekt der Quantenwirklichkeit und seine Aufdeckung zuständig ist. Auf jeden Fall hat Bohms Bemühen um eine zugleich ordentliche und unorthodoxe Deutung der Quantensprünge dadurch neuen Auftrieb erfahren.
Die implizite Ordnung
In den 1960er-Jahren dachte Bohm vermehrt über das Konzept nach, das wir gewöhnlich als Ordnung bezeichnen und an dem viele Teile beteiligt sind.
Eines Tages fiel ihm ein merkwürdiges Gerät auf. Es bestand aus zwei konzentrischen Glaszylindern, und der Raum zwischen ihnen war mit Glyzerin ausgefüllt, also mit einer hoch viskosen (zäh fließenden) Flüssigkeit. Wenn man nun einen Tintentropfen in das Glyzerin einbringt und den äußeren Zylinder umdreht, sorgen klassische physikalische Kräfte dafür, dass der ursprüngliche Tropfen in die Länge gezogen und zu einem Faden wird. Er wird lang und länger, bis man ihn nicht mehr sehen kann. Wird nun der Zylinder in die Gegenrichtung umgedreht, erscheint bald erneut ein sichtbarer Faden, der rasch an Dicke zunimmt und zuletzt wieder zu dem Tropfen wird, mit dem alles angefangen hat.
Bohm deutete dieses Geschehen dadurch, dass er sagte, der Tintentropfen, der ins Glyzerin gelangt ist und dort diffundiert, habe in seinen Teilen (den Tintenmolekülen) eine verborgene Ordnung behalten, die sich zwar nicht (so ohne Weiteres) sichtbar manifestiere, aber keinesfalls als ein Zustand von Unordnung oder Ordnungslosigkeit zu verstehen sei. Bohms Ansicht nach sind alle separaten Objekte, Strukturen, Gebilde und Ereignisse Auswirkungen einer tieferen und ungebrochenen Ganzheit, deren Ordnung er mit dem Attribut »implizit« charakterisierte (und die im Fall des Tintentropfens und seiner Moleküle auf physikalisch-chemischen Wechselwirkungen beruhen wird).
Um den Ausdruck »implizit« zu verstehen, empfi ehlt es sich an Sätze zu denken, die eine implizite und explizite Bedeutung haben. »Ich fahre gerade von Konstanz nach München« hat die explizite Bedeutung, dass ich irgendwo zwischen den beiden Städten bin. Die implizite Bedeutung erschließt sich aus dem Umfeld: Wenn der Satz etwa auf einem Bahnhof fällt, meint »fahren« nichts anderes als »mit dem Zug fahren«, an einer Tankstelle bedeutet es »mit dem Auto fahren« und so weiter. Eine implizite Ordnung operiert mit Informationen von außen und entsteht nur in einem Umfeld, das zu dem Ganzen dazugehört. Das Ganze selbst kann in diesem Rahmen nichts Starres sein, sondern befindet sich in Bewegung. Für Bohm ist deshalb das Universum ein ungeteiltes Ganzes in einem dahinströmenden Fluss: »In diesem Strömen kann man ein sich dauernd änderndes Muster an Wirbeln, Wellen, Blasen, Verwerfungen, Spritzern und anderen Verformungen sehen, die offenbar über keine unabhängige Existenz für sich verfügen. Sie sind vielmehr aus den fließenden Bewegungen hervorgegangen (abstrahiert), und sie tauchen auf und verschwinden in dem Prozess des gesamten Strömens. Vorübergehende Randerscheinungen ( subsistence ) dieser Art, die den genannten abstrakten Formen zukommen können, implizieren nur eine relative Unabhängigkeit oder Autonomie des Verhaltens und keine absolute Existenz als letzte Substanz.« So äußert sich Bohm in seinem 1980 publizierten Buch Wholeness and the Implicate Order , in dem er – sprachlich nicht gerade entgegenkommend – darlegt, dass wir lernen müssen, alles als Teil einer »ungeteilten Ganzheit« zu verstehen, die sich »in einer fl ießenden Bewegung« befi ndet.
Hologramme
Eine andere Metapher, die Bohm heranzieht, um die implizite, eher verborgen bleibende Ordnung der Welt, die seiner Ansicht nach durch die Quantensprünge geschaffen und uns zugänglich gemacht wird, zu veranschaulichen, kennen wir als Hologramm. Hologramme sind fl ache (zweidimensionale) Bilder, in denen wir aber die Gegenstände als das erkennen können, was sie sind, nämlich dreidimensionale Strukturen. Hologramme werden heute mithilfe von Laserstrahlen hergestellt und können mit bloßem Auge betrachtet werden. Als Bohm jedoch über sie schrieb, war die Technik der Hologrammerstellung noch nicht ausgereift. Es brauchte erst noch den Laserstrahl, um die gesamte im Hologramm enthaltene Information einem Betrachter zugänglich zu machen. Das
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