Die Hintertreppe zum Quantensprung
für Hitler.
Von Weizsäcker hat nach 1945 gerne die Formel benutzt, er sei »nur durch göttliche Gnade« vor der Versuchung bewahrt worden, eine deutsche Atombombe zu bauen. Viele Zeitgenossen haben ihm geglaubt und würden dies auch bereitwillig weiterhin tun. Aber es gibt inzwischen Hinweise, dass von Weizsäcker nicht so friedlich und harmlos gewesen ist, wie er es nach 1945 dargestellt – oder sollten wir sagen: uns weisgemacht – hat. Er scheint im Uranverein nicht nur physikalisch, sondern auch politisch gedacht und die illusionäre Hoffnung gehabt zu haben, mit der neuen Waffe den »Führer« zu führen. Er war es nämlich, der Heisenberg 1941 überredet hat, in das von deutschen Truppen besetzte Kopenhagen zu fahren, um mit Bohr über die Möglichkeit von Atomwaffen zu sprechen, wobei das ganze Unternehmen vermutlich von der Gestapo verfolgt wurde. Und im Sommer desselben Jahres, während deutsche Panzer Richtung Moskau rollten, hat von Weizsäcker ein unheilvolles Patent für ein »Verfahren zur explosiven Erzeugung von Energie und Neutronen, z.B. in einer Bombe« angemeldet, wie es inzwischen sogar im Nachrichtenmagazin Der Spiegel zu lesen war (Ausgabe 11/2010, S. 72). Leider haben wir von dieser 1990 in Moskau entdeckten Patentschrift zu allgemeinem großen Bedauern nicht von ihm selbst erfahren. Das legt die Vermutung nahe, dass der große Philosoph uns womöglich jahrzehntelang hinters Licht geführt hat.
Von Weizsäcker selbst hat 1980 in einem Vortrag versucht, »Rechenschaft über die eigene Rolle« abzugeben, die er bei der Entwicklung sowohl der Kernphysik als auch der Atombombe gespielt hat. Die zentralen Sätze lauten, dass er nur wegen einer Einsicht diese Rede halte, und dies sei »eine moralische Einsicht«, der er sich nicht habe entziehen können. Sie heißt: »Die Wissenschaft ist für ihre Folgen verantwortlich.« Vermutlich hat dieser Satz den Beifall des Publikums gefunden, aber es könnte sein, dass von Weizsäcker genau das wollte und kaum etwas anderes im Sinn hatte. Mit dem Satz entlässt er nämlich die Öffentlichkeit – also uns – aus der Verantwortung, und gaukelt uns vor, das ganze Problem alleine schultern zu können. Wir dürfen uns somit beruhigt zurücklehnen und auf die Wissenschaft schimpfen, schließlich war sie es (und nicht wir), die mit dem Feuer gespielt hat. Das Einzige, was uns zu tun bleibt, ist dem Philosophen zu applaudieren, dem wir spätestens seit diesen seinen Worten zutrauen, stets verantwortlich gehandelt zu haben. So möchte von Weizsäcker von uns gesehen werden, und so haben wir ihn jahrzehntelang gesehen. Aber hat er auch so gehandelt? Wir haben Zweifel, und sie wachsen.
Die Kernspaltung
Der junge von Weizsäcker verbrachte seine Tage in den Laboratorien in Berlin, in denen Otto Hahn 1938 die Urankerne gespalten hat. Die beiden haben sich laut von Weizsäcker unmittelbar nach dem wissenschaftlichen Erfolg unterhalten. Hahn befürchtete, dass seine Entdeckung »sehr bald weltweit bekannt sein würde«, was deshalb schlimm sei, weil dieser Vorgang zur »Freisetzung der Kernenergie« und deren »Verwendung als Waffe« führen kann – einer Waffe, »die allen bisherigen weit überlegen sein würde. Hahn erschrak zutiefst über die Gefahr, dass Hitler solche Waffen in die Hand bekäme«, wie von Weizsäcker schreibt und worüber man sich wundern darf. Und zwar deshalb, weil ohne die Erklärung, die Lise Meitner und ihr Neffe Otto Robert Frisch erst später in Schweden für Hahns Beobachtungen geliefert haben, nichts von einer »Freisetzung der Kernenergie« bekannt war. Hahn jedenfalls verstand nichts von alldem. Das musste sich somit der junge von Weizsäcker selbst ausgedacht haben, der 1938 gerade einmal 26 Jahre alt war. Und deshalb erstaunt umso mehr, was er nach der Berliner Begegnung mit Hahn zu Papier bringt und als Brief an den Philosophen Georg Picht schickt: »1. Wenn Atomwaffen möglich sind, wird es jemanden auf der Erde geben, der sie baut. 2. Wenn Atomwaffen gebaut sind, wird es jemanden auf der Erde geben, der sie kriegerisch einsetzt. 3. Also wird die Menschheit wohl nur die moderne Technik überleben können, wenn es gelingt, die Institution des Krieges zu überwinden.« Das heißt doch wohl, dass von Weizsäcker an den Experimenten mit Uran nicht weiter interessiert war, sofern sie auf ein tieferes physikalisches Verständnis der Struktur von Atomen hinausliefen. Sein Augenmerk lag, dem Schreiben nach zu urteilen, eindeutig auf
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