Die Hintertreppe zum Quantensprung
in der Literatur als Aharonov-Bohm-Effekt bekannten Quantenbesonderheit besteht darin, dass sie nicht auf das (reale) Magnetfeld selbst zurückgeführt werden kann, sondern auf eine nicht messbare (unwirkliche) Größe, die Physiker in ihre Theorien eingeführt haben, um die mathematische Schreibweise zu vereinfachen. Sie nennen diesen irrealen Teil der Theorie »Vektorpotenzial« und leiten das (reale) Feld davon ab. Ein solcher Schritt in fast transzendente Sphären musste gedanklich deshalb unternommen werden, weil sich der Aharonov-Bohm-Effekt im konkreten Versuch auch dann noch zeigt, wenn das Magnetfeld längst verschwunden ist, das heißt, wenn seine Stärke den Wert null erreicht hat und auf den Messgeräten nichts mehr angezeigt wird (was aber nicht bedeutet, dass da nicht doch noch etwas sein könnte).
Auch wenn dies nur wie eine hilfl os wirkende Formulierung erscheint, hier zeigt die Natur offenbar, was Bohm einen »dynamischen Holismus« nennt. Die Natur agiert als ein Ganzes, bei dem auch Dimensionen mitspielen, die uns zwar physisch, aber nicht psychisch (spirituell) verschlossen bleiben. Diese Besonderheit begegnet uns bereits in der Urform der Quantenmechanik selbst, die ja imaginäre Größen benötigt, um formuliert werden zu können. Sie muss dadurch die Wirklichkeit verlassen und aus ihr heraustreten, um sie dann aus unwirklichen Dimensionen in den Blick oder den Griff zu bekommen.
Gegen die Orthodoxie
Je länger Bohm sich mit den Quanten beschäftigte, und je mehr er über ihre physikalischen Wirkungen und philosophischen Deutungen nachdachte, desto mehr faszinierte ihn das Thema. Zugleich aber wurde er immer unzufriedener mit den bisherigen Grundannahmen, zu denen etwa die Unbestimmtheit gehört, die auf Werner Heisenberg zurückgeht und mit der bestritten wird, dass es so etwas wie eine objektive Existenz von Elektronen oder Photonen gibt. Bohm wollte auch nichts davon hören, dass die Quantenphysiker Objektivität nur beim Zufall zulassen, nämlich dann, wenn sie zum Beispiel ein Photon auf einen halbversilberten Spiegel lenken, der es mit jeweils 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit durchlässt oder reflektiert. Zwar kann und wird sich das Lichtteilchen in die eine oder andere Richtung bewegen, aber es gibt keine ersichtliche Ursache (Kausalität), die dies übernimmt und festlegt. »Es passiert einfach«, sagten die Vertreter der orthodoxen Quantenphysik, und Bohm hielt das wie Einstein für zu wenig, zu billig oder gar zu dumm. Er vermutete tiefere, vielleicht verborgene Ursachen hinter den Dingen, die es zu erkunden galt. Deshalb dachte er darüber nach, wie man sie zu fassen bekommen könnte.
Zunächst fragte sich Bohm, ob es überhaupt sinnvoll und womöglich sogar falsch sei, Elektronen als einfache (d.h. nicht zusammengesetzte) und strukturlose Gebilde zu betrachten. Er schlug stattdessen vor, die Träger der negativen Elementarladung als komplexe und dynamische Einheiten zu sehen, in denen ja immerhin Masse, Elektrizität, Spin und was sonst noch verpackt sein mussten – und zwar jede Eigenschaft schön einzeln und für sich. Und wenn sich solch ein kleines Ganzes in der Welt umherbewegt, dann bleibt nicht unbestimmt, was es tut. Es folgt vielmehr einer nachvollziehbaren »Bahn«, nur dass deren Aussehen nicht mehr nur – wie in der klassischen Physik – durch konventionelle Kräfte bestimmt wird. Jetzt wirken insbesondere »Quantenpotenziale« mit in den Ablauf hinein. Diese sind so angelegt, dass sie dem sich bewegenden Elektron, so Bohm, »aktive Informationen« über das Umfeld vermitteln, in dem es unterwegs ist.
Zur Erläuterung seiner Idee einer »aktiven Information« bietet Bohm die Analogie eines Schiffes, das durch Radarsignale gesteuert wird. Das Radar verfügt über alle relevanten Informationen aus der Umgebung und leitet das Schiff, indem es seiner Bewegung die geeignete Richtung und Schnelligkeit gibt. Das (rein physikalische) Vorwärtskommen selbst wird durch die Motoren im Maschinenraum ermöglicht, aber diese kausale Kraftquelle bleibt ohne Radar uninformiert. Sie allein erlaubt es einem außenstehenden Beobachter nicht, die Bahn des Schiffes nachzuvollziehen oder gar zu berechnen.
Bohms Überlegungen wurden lange Zeit als nicht uninteressant, aber letztlich ohne Belang verstanden. Sie schienen mehr von Metaphysik als von der Physik selbst zu handeln. Doch dies änderte sich in den 1980er-Jahren, als Experimente zeigten, dass es offenbar eine merkwürdige
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