Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
dem Silberknopf in seinem linken Nasenflügel. »Konrad? Konrad kenn ich nich.«
»Sie ist aber unter der Adresse hier gemeldet.«
»Hm.« Sie kratzte sich mit ihrem nackten Fuß an der Wade. »Ach so. Isi meinen Sie. Ja, die hat mal ne Zeit hier gewohnt. Ist aber schon lange her. Keine Ahnung, wo die sich jetzt rumtreibt.«
»Sie haben keinen Anhaltspunkt über den Verbleib von Frau Konrad?«
Das Mädchen wickelte sich zwei grüne Strähnen um den Finger und lächelte den größeren der beiden Beamten an. »Was wollen Sie denn von der?«
»Darüber darf ich Ihnen keine Auskunft geben.«
»Ach so. Verstehe. Muss ja was Wichtiges sein.« Sie zuckte mit den spitzen Schultern, die aus ihrem weißen Feinripp-Herrenunterhemd herausstachen. »Nee. Also tut mir echt Leid, dass ich Ihnen da nicht weiterhelfen kann. Aber, wenn Isi hier mal wieder vorbeischaut, sag ich ihr auf jeden Fall Bescheid.« Sie schaute vom Gesicht des kleineren Beamten zu seinem Fuß und wieder zurück. »Könnte ich dann zumachen?« Sie lächelte entschuldigend. »Ich hab da nämlich was auf dem Herd stehen.«
Das Bett war frisch bezogen. Die beiden Dreifüße rechts und links vom Kopfende blakten zufrieden. Auf einem Giebelbalken hoch unter dem Dach hockte der Steinkauz und blickte
hinab. Die Flammen tanzten in seinen schwefelgelben Augen.
Leise summend saß sie auf den weißen Laken, die Hände nach hinten abgestützt, und wiegte den Kopf zwischen ihren Knien. Sie ließ ihm Zeit. Alle Zeit, die ein kluger Kopf brauchte, um eine Frau gründlich zu studieren, von vorn nach hinten und wieder zurück.
Kühl und fest lagen seine Ohren an den Innenseiten ihrer Schenkel. Er war schöner, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte. Mit dem Bart und der beginnenden Glatze sah er fast klassisch aus. Vielleicht hätte der Bart noch ein bisschen länger sein können. Aber seine Temperatur war ideal. Die drei Tage im Kühlschrank waren ihm gut bekommen. Jetzt war er so kalt und weiß, wie er es als Kopf schon immer hätte sein sollen.
Sie beugte sich nach vorn und küsste ihn auf die Stirn. »Du bist doch auch froh, dass wir so lange gewartet haben«, flüsterte sie ganz nah an seinem Gesicht.
Er roch nur wenig. Und das nicht einmal unangenehm. Nach Fisch und Honig.
Sie öffnete die Schenkel und ließ ihn in die Laken plumpsen. Andächtig fuhr sie über den schwachen rostroten Abdruck, den sein angeschnittener Hals auf das Leinen gestempelt hatte. Viel Blut besaß er nicht mehr. Mit roten Fingern malte sie Linien auf den weißen Stoff zwischen ihren Brüsten. Heute wusste sie, dass andere Kinder Fingerfarben gehabt hatten. Sie hatte nie mit Fingerfarben malen dürfen. Immer nur Buntstifte. Ihre Hand tänzelte bettauswärts. »Messer, Gabel, Scher und Licht...«
In Reih und Glied funkelten die chirurgischen Instrumente, die sie beim Fachversand bestellt hatte.
Sie schloss die Augen. Der Druck in ihrem Schädel war gewaltig gestiegen. Die Bilder mussten raus. Schädel sprengen oder raus. Viele Monate waren vergangen, seitdem sich die winzigen Gerstenkörner in ihrem Kopf eingenistet hatten.
Viele Monate, in denen sie gewachsen und gewachsen waren, bis sie jeden anderen Gedanken verdrängt hatten.
Ihre Finger zitterten, als sie den Kopf wieder zwischen ihre Schenkel klemmte, das erste Skalpell vom Tisch nahm, es oberhalb des rechten Ohrs ansetzte und in frontalem Bogen zum anderen Ohr hinüberzog. Mühelos drang die Klinge durch die Haut. Es war wie bei den Kalbs- und Schweinsköpfen, mit denen sie geübt hatte. Und doch war es ganz anders. Viel schöner. Ihre Finger beruhigten sich. Mit einem zweiten Messer begann sie die Kopfhaut vom Schädelknochen zu lösen.
»Zeit zum Ausziehen«, sagte sie, als ihr die Haut ausreichend gelockert erschien, und wie man einer Puppe ein zu enges Kleid über den Kopf zerrt, zog sie ihm das Fleischhemd über die Ohren.
Es war sonderbar. Sie hätte schwören können, dass ihr jemand zwischen die Beine gefasst und sie gezupft hatte. Sie lauschte in sich hinein. Das Zupfen war weg, aber ein komisches Gefühl war geblieben. Wie wenn die Nase lief. Sie fasste sich unter das Kleid. Zwischen ihren Beinen rotzte es. Nachdenklich verrieb sie den Schleim. Eine normale Erkältung war es jedenfalls nicht, normale Erkältungen kannte sie, und die fühlten sich anders an. Es musste ein Unterleibskatarrh sein. Sie hatte noch nie einen gehabt, aber sie hatte schon davon gehört. Tatsächlich war alles zwischen ihren Beinen
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