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Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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oder auch tausend Stück; manche waren weich, manche waren hart, alle sehr zerfließlich; Männer, Weiber, mürbe und voll Blut.
    Sie ließ sich samt Hirn auf den Rücken fallen, hielt es mit gestreckten Armen in die Höhe, wie man eine kleine Katze in die Höhe hält, warf es in die Luft, klatschte in die Hände, lachte und fing es wieder auf. Nie, nie, nie würde sie es an die Wand werfen wie diese dumme Königstochter. Sie drückte es an sich. Hirn an Hirn. Endlich konnten sie sich lieben. Befreit von allem, was sie getrennt hatte. Sie hatte schon immer so eine Ahnung gehabt, aber jetzt erst fühlte sie es sicher: Sie war Hirn. Reines Hirn. Von Kopf bis Fuß.
    Der Dämon war in ihrem Unterleib auf ein unbekanntes Glockenarsenal gestoßen und läutete Sturm. Der leere Kopf krachte auf den Steinboden.
    Sie presste eine Hand zwischen ihre Beine. Ihr ganzer Körper vibrierte von dem Geläut. Konnte man an Unterleibskatarrhen sterben? Ganz fest drückte sie das Hirn an sich. Ungewollt
glitt ihre Hand in den Spalt hinein, der die linke von der rechten Hälfte trennte. Sie erstarrte.
    »Fissura longitudinalis«, beschwor sie sich, »Fis-su-... lon-gi-tu-...«, während ihre Finger in Schleim und Blut versanken. Und obwohl es in ihrem Kopf immer schneller wirbelte, war es dort gleichzeitig ganz still und schwarz geworden.
    Die Hand voll Hirn hatte sie in Höhen getragen, in denen der menschliche Geist nichts mehr zu suchen hatte.

II
    Nach tagelangen Kämpfen hatte Zarah gesiegt. Erwin war nichts anderes übrig geblieben, als den Sommer einzupacken und sich über den Mittelmeerraum zurückzuziehen.
    Zähneklappernd stand Kyra in der langen Schlange vor Robert Konrads Grab und wartete darauf, ihrem toten Chefredakteur die letzte Ehre und eine Hand voll Sand zukommen zu lassen.
    Noch war sie zu weit vom Grab entfernt, um sehen zu können, was sich in den vorderen Reihen tat. Was schade war, denn am Grabesrand spielten sich immer die interessantesten Szenen ab. Sie erinnerte sich an die Beerdigung des ostdeutschen Großdichters im vorletzten Winter, bei der es von gemeinsam geleerten Whiskyflaschen über gemeinsam gerauchte Zigarren bis hin zu gemeinsam befleckten Bettlaken kaum etwas gegeben hatte, was die hinterbliebene Damenwelt nicht auf den Sarg geworfen hätte. Der Preis für die Beste Graveside-Comedy war allerdings an den unbekannten jungen Mann gegangen, der sich die Designerbrille von der Nase gerissen, sie dem toten Erleuchter hinterhergeschleudert hatte und blind durch die Friedhofsreihen davongewankt war.
    Die Schlange bewegte sich langsam vorwärts. Einige schwarze Rücken weiter, unter großem Hut, sah Kyra ein bekanntes Blond hervorleuchten. Sie musste grinsen. Ein paar Jungs aus der Sportredaktion hatten mit ihr gewettet, dass sich Jenny Mayer zur Beerdigung die Haare schwarz färben würde. Die Flasche Pommery hatten sie verloren. Es musste Jenny zu sehr gekränkt haben, dass ihr Geliebter die letzte Reise nun doch gemeinsam mit der Gattin antrat.

    Bis zuletzt war unklar gewesen, ob Erika Konrad Seite an Seite mit ihrem Mann beerdigt werden würde. Doch selbst die Polizei hatte mittlerweile Zweifel daran geäußert, dass Erika Konrad ihren Mann ermordet hatte. Für Kyra hatte sie sich mit ihrem Selbstmord als Gattenmörderin disqualifiziert. Gattenmörderinnen hängten sich nicht auf. Gattenmörderinnen saßen im Gefängnis, bereuten dreimal täglich brav, was sie getan hatten, und waren stolz darauf. Wenn überhaupt gehörte der Strick um den eigenen Hals ins Repertoire der Kindsmörderinnen.
    Inzwischen hatte sich Kyra weit genug vorgearbeitet, um Blick auf den Grabesrand zu haben. Steife Menschen in steifen Anzügen übten den letzten Kotau. Allen voran Doktor Olaf Wössner. Eine Sekunde lang glaubte Kyra, ihr neuer Chefredakteur würde dem alten hinterherspringen. Wenn sie das hilflose Auf und Ab seiner Schulterblätter und die vors Gesicht geschlagenen Hände richtig deutete, weinte er. So viel Emotion hätte sie dem steifen Germanisten gar nicht zugetraut. Er war eines dieser journalistischen Fliegengewichte, die vom Laufstall direkt in die Universität und aus der Universität direkt in die Zeitung gestolpert waren. Einer von denen, die durch die Welt staksten, als ob ihnen schon die Mami die Pampers mit dem Bügeleisen am Arsch angedampft hätte. Mit ihm an der Spitze blickte der Berliner Morgen in eine freudlose Zukunft.
    Kyra reckte den Kopf, um noch besser sehen zu können. Die Stunde des

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