Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
politischen Blonds war gekommen. Jenny Mayer fasste sich an den Hals, entknotete ihr Hermès-Tuch und ließ es über der rechten Grabhälfte wehen. Abschied à la Loreley. Kyra hatte Gerüchte gehört, dass der Alte sie in den letzten Wochen zu Gunsten einer neuen Praktikantin kaltgestellt hatte. Sollte es stimmen, ließ sie sich den großen Witwenauftritt jedenfalls nicht verderben.
Niemand stand in Grabesnähe, der nach echter Konrad’scher Verwandtschaft ausgesehen hätte. Merkwürdige Familie.
Keine Schwestern? Keine Onkels? Oder war ihnen die ganze Geschichte zu peinlich? Mindestens eine Konrad-Tochter musste existieren, von ihr hatte der Alte manchmal erzählt. Herzlose Brut. Obwohl. Kyra schloss die Augen. Sie erinnerte sich, wie sie selbst an einem kalten verregneten Januarmorgen an einem offenen Grab gestanden hatte. Im schwarzen Mantel. Mit schwarzen Wildlederstiefeln. Und um sie herum lauter besorgte Erwachsene, die sie mit ihren widerlich warmen Händen angetatscht hatten. »Wenn wir irgendetwas für dich tun können - wenn du irgendetwas brauchst -«
Kyra spürte eine leichte Berührung auf der Schulter. Sie öffnete die Augen. Die Längsseite an Robert Konrads Grab war freigeworden.
Der Anblick der zwei gleichen Kisten, die dort unten stumm und schwarz nebeneinander lagen, war deprimierend. Fast so deprimierend wie der Anblick von streng parzellierten Ehebetten. Es wäre sicher freundlicher gewesen, die beiden in einem Doppelsarg zu bestatten. Vielleicht wären sie sich im Stadium der Verwesung noch einmal näher gekommen.
Kyra griff in die Schale mit dem Sand und ließ eine Prise auf den rechten Sargdeckel rieseln. Außer Jenny Mayers Hermès-Tuch entdeckte sie in der Grube nur weiteren Sand und Blumen. Keine rosa Teddybären. Keine Diamantcolliers. Keine Tagebücher. Irgendetwas musste der Alte doch falsch gemacht haben.
Kyra öffnete ihre Handtasche. Plötzlich verspürte sie das Bedürfnis, ihm eine letzte kleine Freude zu bereiten. »Mach es gut, alter Bock«, flüsterte sie und warf das eingeschweißte Kondom auf seinen Sarg.
Jenny Mayer stand noch immer drei Meter vom Grab entfernt. Ein dramatischer schwarzer Schleier bedeckte ihr Gesicht.
Obwohl Kyra vorgehabt hatte, schnell zu verschwinden,
konnte sie sich den kleinen Abstecher nicht verkneifen. Sie streckte Jenny Mayer die Hand hin. »Mein herzliches Beileid.«
»Halt bloß den Mund.«
Kyra gestattete sich ein vorsichtiges Grinsen.
Die andere verschränkte die Arme vor der Brust. »Bist du jetzt zufrieden, wo er tot ist?«
»Beste Jenny, ich habe keinen Schimmer, wovon du redest.«
»Du verlogenes Biest. Ich weiß, was du mit Robert gemacht hast.«
»Ich?«
»Er hat es mir erzählt. Widerlich.« Ein paar Spucketropfen blieben in dem schwarzen Schleier hängen. »Wie du die ganze Zeit hinter ihm her gewesen bist.«
»Ich? Hinter ihm her?« Kyras Grinsen wurde sarkastisch.
»Und wie du ihn an seinem Geburtstag in den Park gelockt hast -«, noch mehr Tröpfchen fingen sich in dem schwarzen Spritzschutz, »- und ihn dann mit einem Messer bedroht hast und gesagt hast, du würdest ihn abstechen, wenn er es nicht auf der Stelle mit dir treibt.«
Eigentlich hatte Kyra sich vorgenommen, in den nächsten Wochen keine Schlägerei mehr anzufangen. Und eigentlich hielt sie es für unsportlich, Hühnern wie der Mayer eine runterzuhauen. Aber es gab Situationen, da waren gute Vorsätze und Überzeugungen egal.
Es klatschte heftig. Der schwarze Hut segelte vom Kopf der Blondine und landete einige Meter weiter im Kies.
Jenny Mayer stieß einen Schrei aus. Ihre Hand zuckte ein paar Mal in Kyras Richtung, landete aber schließlich doch nur vor ihrem eigenen Mund.
»Das wird dir noch Leid tun.« Ihr Kinn kräuselte sich hässlich. Sie blickte Kyra mit rot unterlaufenen Augen an, bückte sich nach dem schwarzen Ufo und stöckelte davon.
Kyra schaute ihr aufmerksam nach. Sie wollte ganz genau
sehen, wie Jenny Mayer unbeschadet den Friedhof verließ. Nicht, dass ihr später wieder irgendjemand erzählte, sie hätte der Schnepfe ein Ohr abgebissen.
»Frau Berg?«
Alarmbereit drehte Kyra sich um. Aber es war kein Zeitungsritter, der vor ihr stand und die Schmach rächen wollte, die sie seiner Dulcinea angetan hatte. Es war eine ziemlich abgerissene junge Frau, die sie nie zuvor gesehen hatte.
»Kann ich mal einen Moment mit Ihnen reden?« Trotzig lächelnd fuhr sich das Gör durch den grünen Rastaschopf. »Ich bin Isabelle
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