Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
räusperte sich. »Ich geh dann mal wieder hoch. Ich hab noch was zu erledigen.«
»Ja. Das glaube ich auch.« Franz wartete, bis der Schönling außer Hörweite war. »Diese Frau hat sie wirklich nicht mehr alle beieinander«, sagte er leise.
Srrrt. Srrrt.
»Welche Frau?«, erkundigte sich die Kopierfee neugierig.
»Kyra. Sie haben sie heute Mittag ja kennen gelernt. Früher war sie vollkommen in Ordnung, aber seit einiger Zeit treibt sie nichts als Unfug. Wie mit diesem gschleckten Hupfer da.«
»Sie mögen Andreas nicht?«
Srrrt. Srrrt.
»Ich halte nichts von Studenten, die Kellner, Dressman und Journalist gleichzeitig spielen wollen.«
Nike kicherte. »Ich glaube, ich kann ihn auch nicht besonders gut leiden.«
»Endlich mal eine Frau, die noch alle Sinne beieinander hat.«
Die Kleine nahm das Kompliment gelassen entgegen. Mit leichtem Fingerdruck schickte sie eine weitere Kopie auf den Weg. »Kennen Sie Kyra gut?«
»Na ja. Wie das halt so ist unter alten Kollegen. Früher, bevor sie angefangen hat zu spinnen, haben wir zusammen im Feuilleton gearbeitet.«
»So? Das ist ja interessant. Und in welcher Redaktion arbeitet sie jetzt?«
»Verbrechensressort. Blut- und Tränenseite, wie wir hier sagen.«
»Blut- und Tränenseite - das ist schön.« Wieder wanderte die Lichtschiene. »Und jetzt sitzt sie an einem Artikel über den Mord im Pergamon-Museum?«
»Was weiß ich. Irgendwie glaubt sie, sie müsste Mörder fangen.«
»Das ist sicher aufregend. Erzählt sie Ihnen viel von ihrer Arbeit?«
Franz winkte ungnädig ab. »Alles Spinnereien. Sie hätte im Feuilleton bleiben sollen.«
Srrrt. Srrrt.
Die Kleine hatte ausnehmend schöne Schulterblätter. Engelsflügel. Franz trat vom einen Fuß auf den anderen. »Sagen Sie, müssen Sie noch lange an diesem dummen Kopierer hier herumstehen? Ich gehe nachher in die Philharmonie. Im Kammermusiksaal ist ein Konzert mit Boulez. Er dirigiert Strawinsky und Messiaen. - Und - und ich wollte Sie fragen, ob Sie vielleicht Lust hätten, mich zu begleiten?«
Ein verwickelter Weg führt hin zum Zentrum des Heiligen. Baden und das Anlegen reiner Kleider, Schmückung und Bekränzung gehören zur Vorbereitung, oft
auch sexuelle Abstinenz. Zu Beginn bildet sich eine wenn auch noch so kleine Prozession: im gemeinsamen Rhythmus singend entfernen sich die Teilnehmer des Festes von der Alltäglichkeit. Mitgeführt wird das Opfertier, seinerseits geschmückt und gleichsam verwandelt, mit Binden umwunden, die Hörner vergoldet. Man erhofft in der Regel, dass das Tier gutwillig, ja, freiwillig dem Zug folgt; gerne erzählen Legenden, wie Tiere von sich aus zum Opfer sich anboten; denn es ist der Wille eines Höheren, der hier geschieht. Ziel ist der alte Opferstein, der längst errichtete Altar, den es mit Blut zu netzen gilt. Meist lodert auf ihm bereits das Feuer. Oft wird ein Räuchergefäß mitgeführt, die Atmosphäre mit dem Duft des Außerordentlichen zu schwängern; dazu die Musik, meist die des Flötenbläsers. Eine Jungfrau geht an der Spitze, die »den Korb trägt«, die Unberührte das verdeckte Behältnis; auch ein Wasserkrug darf nicht fehlen.
Es war heiß im Taxi. Erbarmungslos heiß. Franz spürte, wie ihm der Schweiß den Rücken hinunterlief. Das Hemd, das er in Wien beim Adlmüller gekauft hatte, war bereits durchnässt. Er fasste sich in den viel zu engen Kragen. Warum nur hatte er ausgerechnet heute das neue Hemd angezogen? Er flehte zum Himmel, seine Begleiterin, die allein auf der Rückbank saß, möge nichts merken. Ohne hinzusehen wusste er, dass sie mit schweißlosem Lächeln dort hinten sitzen würde, das enge Leinenkleid so glatt und trocken, als habe sie es eben erst aus der Reinigung geholt. Wenn er schnupperte, glaubte er, einen frischen, reinen Duft riechen zu können. Kein Parfüm, er kannte sich aus mit Parfüms, sondern irgendeinen Duft, den er in seinem Leben nie gerochen hatte. Er wagte nicht, sich umzudrehen oder einen Blick in den Rückspiegel des Taxis zu werfen. Vielleicht sollte er ohnmächtig werden.
Am heiligen Ort angekommen, wird zunächst ein Kreis markiert, Opferkorb und Wassergefäß werden rings um die Versammelten berumgetragen und grenzen so den Bereich des Heiligen aus dem Profanen aus. Erste gemeinsame Handlung ist das Waschen der Hände, als »Anfang« dessen, was nun geschieht. Auch das Tier wird mit Wasser besprengt; »schüttle dich«, ruft Trygaios bei Aristophanes. Man redet sich ein, die Bewegung des Tieres
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