Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
bedeutet ein »freiwilliges Nicken«, ein Ja zur Opferhandlung. Der Stier wird noch einmal getränkt - so beugt er sein Haupt.
»Sollen wir dann reingehen?«
Es hatte das erste Mal geklingelt. Hektisch zerrte Franz die beiden Tickets aus seiner Jacketttasche hervor. »Oder möchten Sie noch ein Mineralwasser trinken?«
»Nein. Nein danke.« Mit einem Lächeln stellte Nike Schröder ihr halb ausgetrunkenes Wasserglas auf den Pausentisch zurück. »Das ist sehr interessant, was Sie mir da gerade über die serielle Technik in der Komposition erzählt haben. Und Messiaen hat diese Technik erfunden?«
»Nein. Das stimmt nicht ganz. Messiaen hat nur weiter radikalisiert, was Schönberg mit der Zwölftonmusik bereits angelegt hat.« Franz war glücklich. Seit Jahren hatte er keine aufmerksamere Zuhörerin mehr gehabt. »In der Zwölftontechnik beschränkt sich das Reihenprinzip allerdings noch auf die Töne beziehungsweise die Tonqualität, die anderen Parameter wie Lautstärke, Tondauer und so weiter sind noch frei. Die Festlegung aller Parameter ist das, was dann in der seriellen Musik geschieht. Jeder Ton mit allen seinen Eigenschaften muss sich aus dem anfangs gewählten rationalen Ordnungsprinzip notwendig ergeben.«
»Das ist interessant. Wirklich interessant.« Nike Schröder nickte ernsthaft. »Ich weiß so furchtbar wenig über Musik. Musik hat meinen Vater nie interessiert. Was für ein
Glück, dass ich meinen ersten Konzertbesuch gleich mit jemandem machen darf, der so viel weiß.«
Franz wünschte, der Rest Orangensaft, den er hinunterstürzte, würde auch das Rot wegspülen, das er deutlich über sein Gesicht kriechen spürte.
Gemeinsames, gleichzeitiges Werfen von allen Seiten ist ein aggressiver Gestus, gleichsam Eröffnung eines Kampfes, auch wenn die denkbar harmlosesten Wurfgegenstände gewählt sind. Unter den Körnern im Korb aber war das Messer verborgen, das jetzt aufgedeckt ist. Mit ihm tritt der, dem die Führungsrolle zufällt im nun beginnenden Drama, der HIEREUS, auf das Opfertier zu, das Messer noch versteckend, damit das Opfer es nicht erblickt. Ein rascher Schnitt: ein paar Stirnhaare sind dem Tier abgeschnitten worden. Noch ist kein Blut vergossen, nicht einmal ein Schmerz zugefügt, und doch ist die Unberührbarkeit und Unversehrtheit des Opfertieres aufgehoben, in nicht mehr umkehrbarer Weise. Jetzt folgt der tödliche Schlag. Die anwesenden Frauen schreien auf, schrill und laut: ob Schreck, ob Triumph, ob beides zugleich, der griechische Brauch des Opferschreis markiert den emotionellen Höhepunkt des Vorgangs, indem er das Todesröcheln übertönt.
Der Applaus brandete noch von allen Seiten, als Franz und Nike den Saal bereits verließen.
Die Wangen des Mädchens waren gerötet. »Das war wirklich ein wunderbares Konzert. Danke, dass Sie mich mitgenommen haben.«
Auch Franz leuchtete. »Es freut mich, dass es Ihnen gefallen hat.«
»Und Sie müssen jetzt gleich die Rezension schreiben? Ich stelle mir das furchtbar schwer vor, über Musik zu schreiben.«
»Routine.« Er zuckte die Achseln. »Ob es tatsächlich was über die Musik sagt, was man da zusammenschreibt, steht natürlich auf einem anderen Blatt.«
Sie gingen durchs große Foyer, Garderobe hatten sie keine abgegeben, und er hielt ihr die Glastüren zum Vorplatz auf. Die Taxis warteten bereits in langer gelber Schlange.
»Wollen Sie -«, er räusperte sich, »- wollen Sie vielleicht noch eine Kleinigkeit trinken gehen?« Er lächelte, als er ihren fragenden Blick sah. »Keine Angst. Der Artikel muss erst morgen Mittag in den Satz. Heute Nacht schreib ich eh nix mehr.«
»Das Bœuf à la bourguignonne ist fantastisch. Das haben Sie doch nicht etwa selbst gekocht?« Jenny Mayer zog mit gefletschten Zähnen den Bissen von der Gabel und warf Doktor Olaf Wössner den zum Hintergrundtango passenden Blick zu.
»Nein. Nein. Selbstverständlich nicht. Ich - ich habe liefern lassen.« Wössner hüstelte und hob sein Rotweinglas. »Liebe Frau Mayer, wollen wir - ich meine: Sie wissen ja, wie viel Wert ich auf formale Korrektheit lege, aber wollen wir uns nicht wieder duzen.«
Das politische Blond warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Lieber Olaf, ich kann dir gar nicht sagen, wie gern. Um ehrlich zu sein: Es ist mir die ganze Zeit schwer gefallen, bei dem ›Sie‹ zu bleiben.« Sie griff nach ihrem Wein, und die beiden Gläser stießen mit dezentem »Göng« zusammen.
Es entstand eine Pause, in der sich nur Herr
Weitere Kostenlose Bücher