Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
zu reiten. Er hielt mich um die Taille, sodass ich mich weit zurücklehnen konnte. Mit beiden Händen habe ich -«
»Ich will seine Details hören. Erzähl mir, wie er war.« Leise Geräusche vom Schreibtisch. Pfud - pfud - pfud - Pfud -
Jenny Mayer drehte sich abermals um.
Pfud - Pfud - pfud - pfud - »Du sollst mich nicht anschauen, habe ich gesagt.«
»Mein Gott, bist du pervers.« Ihr Blick streifte den schwarzen Koffer. Sie sah zurück zur Wand. Ihre Wangenknochen traten spitz hervor. »Er hatte einen großen Schwanz. Beim Blasen habe ich ihn nie ganz in den Mund bekommen. Sein linkes Ei war etwas kleiner als das rechte. Er mochte es, wenn ich beide zusammenquetsche, während ich ihm einen blase.«
Ludwig Törner ließ den Türklopfer fallen. Er war enttäuscht. Selbst wenn Isabelle Konrad bereits schlief, müsste sie ihn mittlerweile gehört haben. Aber die ganze Villa blieb so dunkel, wie sie bei seiner Ankunft gewesen war.
Nur zu gern hätte er ihr das Phantombild gezeigt. Auch wenn sie in letzter Zeit wenig Kontakt zu ihren Eltern gehabt hatte - vielleicht hätte ihr das Gesicht etwas gesagt. Eine Frau, die ihr Vater früher gekannt hatte. Eine lange begrabene Geschichte.
Er lächelte in die Nacht hinein. »Ludwig, sei ehrlich«, sagte eine innere Stimme zu ihm. »Du bist und bleibst ein Weichei. Du hast ein schlechtes Gewissen. Priesske hat die Kleine hart angefasst. Du wolltest ihr zeigen, dass es noch gute Bullen gibt auf dieser Welt.«
Er ging den Kiesweg zurück. Morgen. Morgen würde das Bild in sämtlichen Medien sein. Endlich gerieten die Dinge in Bewegung.
Als er sich ein letztes Mal zur Villa umdrehte, sah er, dass aus einem Fenster an der rechten Seite ein Vorhang wehte. Was für ein Leichtsinn, dachte er, nachts ein Fenster offen zu lassen.
Schwer atmend lehnte Olaf Wössner in seinem Ledersessel. Er hatte die Augen geschlossen. Seine Lider flatterten wie bei einem Träumenden.
Jenny Mayer strich sich übers feuerrote Kostüm, fasste nach ihrer Handtasche und stand auf. »Gib mir die Kassette.«
Lauter. »Gib mir die Kassette.«
Es dauerte, bis Olaf Wössner die Augen öffnete. Noch länger dauerte es, bis er begriff, dass das schwarze Ding, das Jenny Mayer auf ihn gerichtet hielt, eine Pistole war.
Er setzte sich mit einem Ruck gerade. »Was soll das?« Einen kurzen Moment klang Panik aus seiner Stimme. »Willst du mich erschießen?«, fragte er, und es klang beinahe schon wieder spöttisch.
Die Blondine zielte direkt auf seine Brust. »Notfalls. Ich denke aber nicht, dass es nötig sein wird. Du wirst mir die Kassette auch so geben.«
»Werde ich.« Wössners Tonfall ließ offen, ob er diesen Satz als Frage oder Antwort gemeint hatte.
»Es sein denn, du willst, dass sich jeder in der Zeitung auf Video anschauen kann, wie sein Chefredakteur wichst.« Jenny Mayer nickte in Richtung des Businesscases, den sie
auf die Sofalehne gestellt hatte. Wössners Blick folgte ihrer Bewegung. Der Koffer hatte an der schmalen Seite ein rundes Loch. Aus dem runden Loch starrte ein Kameraauge.
Wie von einem plötzlichen Krampf befallen klappte Wössner zusammen. Seine Hände fassten nach seinem Reißverschluss.
»Kassette gegen Kassette.« Jenny Mayer machte eine ungeduldige Geste mit der Waffe.
»Ich habe die Kassette nicht hier« war alles, was Wössner sagen konnte, denn im nächsten Moment brach auf dem Gang der Tumult los. Jemand brüllte. Rüttelte an verschlossenen Türen. Aschenbecher stürzten scheppernd um.
»Kyra! Du verdammte Schlampe, wo steckst du!«
Bevor die beiden im Zimmer verstanden, was geschah, wurde ihre Tür aufgerissen.
»Scheiße!« Die Gestalt, die hereinstürmte, hatte Mord im Blick. »Scheiße!« Die Gestalt fuchtelte wild herum - »Sagt mir sofort -«, die Gestalt hatte einen Revolver, »- wo sich diese verdammte -«
Ein scharfer Knall und drei Schreie fetzten das Satzende weg.
Isabelle Konrad taumelte rückwärts, als habe sie einen heftigen Schlag in den Bauch bekommen. Der Revolver, den sie im Kleiderschrank ihres Vaters gefunden hatte, fiel ihr aus der Hand. Sie brüllte auf. Und versuchte gleichzeitig, nach der Waffe am Boden zu greifen und das Loch in ihrem Bauch zuzuhalten. Das Blut sprudelte zwischen ihren Fingern hervor. Sie strauchelte.
Jenny Mayer schrie. Schrie. Schrie.
Die Konrad-Tochter brach zusammen.
Tableau vivant. Tableau mort.
»Ich kann nichts dafür! Es war Notwehr!« Jenny Mayer schaute Wössner an. Ihre Augen flackerten.
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