Die historischen Romane
derweil die Paulizianer und die Jerusalemer?«
»Tja, wenn man das wüsste«, sagte Diotallevi. »Aber ich würde nicht außer acht lassen, dass es genau die Zeit ist, in der die lurianische Kabbala sich verbreitet und man anfängt, vom Bruch der Gefäße zu sprechen ... Und zur selben Zeit kommt die Idee von der Torah als einer unvollständigen Botschaft auf. In einer chassidischen Schrift aus Polen heißt es: Wenn sich stattdessen ein anderes Geschehnis ereignet hätte, dann wären andere Buchstabenkombinationen daraus hervorgegangen ... Eins ist jedenfalls klar: Den Kabbalisten gefällt es nicht, dass die Deutschen der Zeit vorgreifen wollten. Die richtige Ordnung und Abfolge der Torah ist verborgen geblieben, sie ist nur Ihm bekannt, dem Heiligen, Er sei gelobt ... Aber lasst mich hier keine Verrücktheiten sagen. Wenn auch die heilige Kabbala in den Großen Plan mit einbezogen wird ... «
»Wenn es den Großen Plan gibt, muss er alles mit einbeziehen. Entweder er ist global, oder er erklärt gar nichts«, sagte Belbo. »Aber Casaubon hatte noch ein zweites Indiz angedeutet.«
»Ja. Sogar eine Reihe von Indizien. Noch ehe das Treffen von 1584 gescheitert war, hatte John Dee begonnen, sich mit kartographischen Studien zu beschäftigen und Schiffsexpeditionen zu propagieren. Und in Abstimmung mit wem? Mit Pedro Nuñez, dem Kosmographen des Königs von Portugal ... John Dee beeinflusste die Entdeckungsreisen auf der Suche nach der Nordwestpassage, er investierte Geld in die Expedition eines gewissen Frobisher, der in die Nähe des Nordpols vordrang und mit einem Eskimo zurückkam, den alle für einen Mongolen hielten, er stachelte Sir Francis Drake auf und ermunterte ihn zu seiner Weltreise, er wollte, dass die Entdecker nach Osten segelten, weil der Osten der Anfang jeder okkulten Erkenntnis sei, und bei der Abfahrt von ich weiß nicht mehr welcher Expedition rief er die Engel an.«
»Und was würde das bedeuten?«
»Mir scheint, dass John Dee in Wirklichkeit gar nicht so sehr an der Entdeckung fremder Weltgegenden interessiert war, sondern an ihrer kartographischen Darstellung, und deswegen arbeitete er in Kontakt mit Mercator und Ortelius, zwei großen Kartographen. Es sieht so aus, als hätte er aus den Fragmenten der Botschaft, die er in Händen hielt, begriffen, dass die ganze Botschaft am Ende zur Entdeckung einer Karte führen musste, und so versuchte er nun, diese Karte auf eigene Faust zu entdecken. Ja, ich wäre sogar versucht, noch mehr zu sagen, wie Signor Garamond. Sollte einem Gelehrten von seinem Kaliber wirklich die Diskrepanz zwischen den beiden Kalendern entgangen sein? Was, wenn er das Treffen mit Absicht verpatzt hätte? John Dee sieht mir ganz so aus, als hätte er die Botschaft für sich allein rekonstruieren wollen, umso die fünf anderen Gruppen auszuschalten. Ich habe den Verdacht, dass mit ihm die Idee auftaucht, man könne die Botschaft mit magischen oder wissenschaftlichen Mitteln rekonstruieren, ohne zu warten, dass der Plan sich erfüllt. Syndrom der Ungeduld. Genau zu dieser Zeit entsteht der Typus des bürgerlichen Eroberers, es trübt sich das Solidaritätsprinzip, auf dem die spirituelle Ritterschaft beruhte. Und wenn John Dee so dachte, dann sicher erst recht Francis Bacon. Von nun an versuchen die Engländer, das Geheimnis zu lüften, indem sie alle Geheimnisse der neuen Wissenschaft nutzen.«
»Und die Deutschen?«
»Die Deutschen, die lassen wir lieber den Weg der Tradition beschreiten. So können wir mindestens zwei Jahrhunderte Philosophiegeschichte erklären – angelsächsischer Empirismus gegen romantischen Idealismus ... «
»Wir sind dabei, schrittweise die Geschichte der Welt zu rekonstruieren«, sagte Diotallevi. »Wir sind dabei, das Buch neu zu schreiben. Das gefällt mir, das gefällt mir!«
73
Ein anderer kurioser Fall von Kryptographie
wurde dem Publikum 1917 von einem der besten
Biographen Bacons, dem Dr. Alfred von Weber-Ebenhoff
aus Wien, vorgelegt. Ausgehend von
den bereits an den Werken Shakespeares erprobten
Systemen, unternahm er es, sie auf die Werke von
Cervantes anzuwenden ... Im Verlauf dieser Untersuchung
entdeckte er einen verblüffenden konkreten
Beweis: die erste englische Übersetzung des
Don Quijote von Shelton weist handschriftliche
Korrekturen von Bacon auf. Er schloß daraus, dass
diese englische Fassung das Original des Romans
sei und dass Cervantes nur eine spanische Übersetzung
davon veröffentlicht
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