Die historischen Romane
Fassaden kaum breiter als ihre Haustüren sind (jedenfalls dort, wo sie sich schräg und schief aneinanderreihen), so wäre er in einen weiträumigen Salon getreten, der nicht den Plunder des Erdgeschosses zu beherbergen schien, sondern eine Sammlung ganz andersartiger Objekte: ein dreibeiniges Empiretischchen, dessen Beine mit Adlerköpfen verziert waren, einen Spieltisch, gestützt von einer geflügelten Sphinx, einen barocken Wandschrank, ein Bücherregal aus Mahagoniholz, auf dem sich an die hundert in kostbares Maroquinleder gebundene Bücher reihten, einen Schreibtisch von jener Sorte, die man die »amerikanische« nennt, mit Rollverschluss und vielen Schubfächern wie ein Sekretär. Und wäre der Besucher ins Nebenzimmer gegangen, so hätte er dort ein luxuriöses Himmelbett vorgefunden, eine rustikale Étagère mit Porzellanfiguren aus Sèvres, einer türkischen Wasserpfeife, einer großen Alabasterschale, einer Kristallvase, und an der Wand dahinter Paneele mit mythologischen Szenen, zwei große Ölbilder, auf denen die Musen der Geschichte und der Komödie zu sehen waren, sowie verschiedentlich an den Wänden arabische Barrakane, andere orientalische Tücher aus Kaschmirwolle, eine antike Feldflasche für Pilger, auch eine Waschschüssel auf einem schmiedeeisernen Ständer mit einer Zwischenetage voller Toilettengegenstände aus kostbaren Materialien – kurzum, ein bizarres Ensemble kurioser und teurer Objekte, das vielleicht nicht von einem besonders kohärenten und raffinierten Geschmack zeugte, wohl aber von einem Wunsch nach demonstrativ ausgestellter Opulenz.
Zurück im vorderen Salon, hätte der Besucher vor dem einzigen Fenster, durch das jenes bisschen Licht eindrang, das die Impasse erhellte, am Tisch sitzend einen älteren Herrn im Morgenrock wahrgenommen, der, soweit der Besucher es über seine Schulter spähend hätte erkennen können, gerade dabei war zu schreiben, was wir nun zu lesen uns anschicken und was der ERZÄHLER bisweilen zusammenfassen wird, um die Geduld des LESERS nicht allzusehr zu strapazieren.
Auch möge der LESER jetzt nicht erwarten, dass der ERZÄHLER ihm gestehe, wie überrascht er in dem Schreibenden einen schon früher Genannten wiedererkannt habe, denn da ja diese Geschichte eben jetzt erst beginnt, ist vorher noch niemand genannt worden, und selbst der ERZÄHLER weiß noch nicht, wer dieser geheimnisvolle Schreiber ist, und nimmt sich vor, es gemeinsam mit dem LESER zu erkunden, während beide ihm zudringlich über die Schulter spähen und die Zeichen verfolgen, welche die Feder des Fraglichen auf das Papier kritzelt.
2.
Wer bin ich?
24. März 1897
Es bereitet mir eine gewisse Verlegenheit, mich ans Schreiben zu machen, als würde ich meine Seele entblößen auf Anordnung – nein, Gott bewahre! sagen wir: auf Anraten – eines deutschen Juden (oder eines österreichischen, aber das kommt auf dasselbe hinaus). Wer bin ich? Vielleicht frage ich mich besser nach den Leidenschaften, die ich vielleicht noch habe, als nach den Tatsachen meines Lebens. Wen liebe ich? Mir kommen keine geliebten Gesichter in den Sinn. Ich weiß, dass ich die gute Küche liebe. Beim bloßen Aussprechen des Namens »La Tour d’Argent« erfasst mich ein Zittern am ganzen Leibe. Ist das Liebe?
Wen hasse ich? Die Juden, möchte ich sagen, aber die Tatsache, dass ich so eilfertig auf die Anregungen jenes österreichischen (oder deutschen) Doktors eingehe, spricht eher dafür, dass ich nichts gegen die verdammten Juden habe.
Über die Juden weiß ich nur das, was mich mein Großvater gelehrt hat: »Sie sind das gottlose Volk par excellence«, erklärte er mir. »Sie gehen von der Idee aus, dass sich das Gute hier auf Erden verwirklichen muss, nicht im Jenseits. Daher tun sie alles, um diese Welt zu erobern.«
Die Jahre meiner Kindheit waren beherrscht und verdunkelt von ihrem Phantom. Der Großvater beschrieb mir jene lauernden Augen, die einen so falsch ansehen, dass man unwillkürlich erbleicht, jenes schleimige Lächeln, jene hyänengleich über die Zähne zurückgezogenen Lippen, jene schweren, verderbten, verrohten Blicke, jene vom Hass eingegrabenen Falten zwischen Nase und Lippen, die niemals zur Ruhe kommen, jene Hakennase gleich dem Schnabel eines exotischen Vogels… Und das Auge, ah, das Auge… Fiebrig rollt es mit seiner Pupille in der Farbe gerösteten Brotes und enthüllt Krankheiten der von den Sekreten eines achtzehn Jahrhunderte währenden Hasses zerfressenen
Weitere Kostenlose Bücher