Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
verfolgen.
    »Was, heute gibt’s keinen Porree?« fragte Bourru eines Tages ärgerlich. Und Burot setzte empört nach: »Keinen Porree?!«
    Während der Kellner sich noch entschuldigte, mischte ich mich vom Nachbartisch ein: »Aber es gibt sehr guten Bocksbart, den ich dem Porree vorziehe.« Und dann trällerte ich fröhlich: »Tous les légumes / au clair de lune / étaient en train de s’amuser / et les passants les regardaient. / Les cornichons / dansaient en rond, / les salsifis / dansaient sans bruit…«
    So hatte ich sie überzeugt, die beiden Tischgenossen nahmen die salsifis , und das war der Beginn einer schönen Gewohnheit, für jeweils zwei Tage im Monat.
    »Sehen Sie, Monsieur Simonini«, erklärte mir Bourru, »Doktor Charcot erforscht die Hysterie, eine Form von Neurose, die sich in verschiedenen psychomotorischen, sensorischen und vegetativen Reaktionen manifestiert. Früher hatte man sie für ein ausschließlich weibliches Phänomen gehalten, ausgelöst durch Störungen der Uterusfunktion, aber Charcot hat erkannt, dass die hysterischen Manifestationen unter beiden Geschlechtern gleichermaßen verbreitet sind und Paralyse, Epilepsie, Blindheit, Taubheit, Atem-, Sprech- und Schluckbeschwerden umfassen können.«
    »Der Kollege«, mischte Burot sich ein, »hat noch nicht gesagt, dass Charcot auch behauptet, eine Therapie entwickelt zu haben, die ihre Symptome zu heilen vermag.«
    »Dazu wollte ich gerade kommen«, sagte Bourru pikiert. »Charcot hat den Weg der Hypnose gewählt, der bis gestern noch Sache von Scharlatanen wie Mesmer gewesen war. Die Patienten sollen sich in hypnotisiertem Zustand an traumatische Erlebnisse erinnern, die ihrer Hysterie zugrunde liegen, und durch deren Bewusstmachung gesund werden.«

     
     
    »Und werden sie gesund?«
    »Das genau ist der Punkt, Monsieur Simonini«, sagte Bourru, »für uns riecht das, was in der Salpêtrière geschieht, oft mehr nach Theater als nach klinischer Psychiatrie. Verstehen wir uns recht, nicht um die unfehlbaren diagnostischen Qualitäten des großen Meisters in Frage zu stellen…«
    »Nicht um sie anzuzweifeln«, bestätigte Burot. »Es ist die Technik der Hypnose an sich, die…«
    Bourru und Burot erklärten mir die verschiedenen Methoden des Hypnotisierens, von den noch scharlatanhaften eines gewissen Abbé Faria (dieser Dumas’sche Name ließ mich aufhorchen, aber Dumas hat bekanntlich reale zeitgeschichtliche Chroniken geplündert) bis zu den wissenschaftlichen von Doktor Braid, einem echten Pionier.
    »Inzwischen«, sagte Bourru, »befolgen die guten Magnetiseure einfachere Methoden.«
    »Und wirkungsvollere«, präzisierte Burot. »Man lässt vor dem Kranken eine Medaille oder einen Schlüssel pendeln und sagt ihm, er solle ihn unverwandt ansehen. Nach ein bis drei Minuten fallen die Pupillen des Patienten in eine oszillierende Bewegung, der Blutdruck sinkt, die Augen schließen sich, das Gesicht bekommt einen entspannten Ausdruck, und der Schlaf kann bis zu zwanzig Minuten dauern.«
    »Allerdings«, korrigierte Bourru, »hängt das vom Patienten ab, denn Magnetisierung entsteht nicht durch Übertragung mysteriöser Ströme, wie dieser Scharlatan Mesmer meinte, sondern durch Phänomene der Autosuggestion. Die indischen Fakire kommen zum selben Ergebnis, indem sie aufmerksam die eigene Nasenspitze betrachten, oder die Mönche vom Athos, indem sie ihren Bauchnabel fixieren.«
    »Wir glauben nicht sehr an diese Formen von Autosuggestion«, sagte Burot, »auch wenn wir nichts anderes tun, als Intuitionen in die Praxis umzusetzen, die Charcot gehabt hatte, bevor er anfing, soviel auf Hypnotisierung zu geben. Wir beschäftigen uns mit Fällen von Persönlichkeitsspaltung, das heißt mit Patienten, die sich an einem Tag für die eine Person und an einem anderen Tag für eine andere halten, ohne dass die beiden Personen etwas voneinander wissen. Letztes Jahr ist ein gewisser Louis in unsere Klinik gekommen.«
    »Ein interessanter Fall«, präzisierte Bourru, »er litt an Paralyse, partieller Gefühllosigkeit, Kontrakturen, Muskelkrämpfen, Hyperästhesie, Stummheit, Hautreizungen, Hämorrhagie, Husten, Übelkeit, epileptischen Anfällen, Katatonie, Somnambulismus, Veitstanz, Sprachstörungen…«
    »Manchmal hielt er sich für einen Hund«, fügte Burot hinzu, »oder für eine Dampflokomotive. Außerdem hatte er paranoische Halluzinationen, Blickfeldverengungen, Halluzinationen des Geschmacks-, Geruchs- und Gesichtssinns,

Weitere Kostenlose Bücher