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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sie führt freizügige Reden, erzählt schlüpfrige Vorfälle, versucht die Pfleger und sogar mich zu verführen – es tut mir leid, so etwas Peinliches zu sagen, auch weil Diana das ist, was man eine attraktive Frau nennt. Meines Erachtens steht sie in diesem Zustand unter dem Eindruck von Traumata, die sie während ihrer Adoleszenz erlitten hat, und versucht sich diesen Erinnerungen zu entziehen, indem sie streckenweise in ihren zweiten Zustand eintritt. In diesem zweiten Zustand erscheint Diana dann als ein sanftes und reines Wesen, sie ist eine gute Christin, fragt immer nach ihrem Gebetbuch und will zur Messe gehen. Aber das ungewöhnlichste Phänomen, das auch bei Félida auftrat, ist, dass Diana in ihrem zweiten Zustand, wenn sie die tugendhafte Diana ist, sich sehr gut daran erinnert, wie sie in ihrem normalen Zustand war, und sich bekreuzigt und sich fragt, wie man so böse gewesen sein konnte, und sich mit einem Bußgürtel bestraft. Dabei geht sie soweit, dass sie diesen zweiten Zustand als ihren Vernunftzustand bezeichnet und sich an ihren normalen Zustand als an eine Phase erinnert, in der sie Halluzinationen zum Opfer gefallen war. In ihrem normalen Zustand erinnert sich Diana dagegen an nichts von dem, was sie in ihrem zweiten Zustand getan hat. Die beiden Zustände alternieren in unregelmäßigen, unvorhersehbaren Abständen, manchmal bleibt sie mehrere Tage lang in dem einen oder dem anderen. Ich wäre einverstanden mit Dr. Azam, hier von perfektem Somnambulismus zu sprechen. Denn nicht nur die Schlafwandler, auch diejenigen, die sich mit Drogen, Haschisch, Belladonna, Opium oder Alkohol berauschen, tun ja Dinge, an die sie sich beim Aufwachen nicht mehr erinnern können.«
    Ich weiß nicht, warum mich die Schilderung von Dianas Krankheit so berührte, aber ich erinnere mich, zu Dr. Du Maurier gesagt zu haben: »Ich werde darüber mit einem Bekannten sprechen, der sich mit beklagenswerten Fällen wie diesem befasst und weiß, wo man ein armes Waisenmädchen unterbringen kann. Ich werde Sie mit dem Abbé Dalla Piccola bekannt machen, einem Ordensmann mit viel Einfluss in den Kreisen der frommen Einrichtungen.«
    Demnach hatte ich damals, als ich mit Du Maurier sprach, zumindest den Namen Dalla Piccolas schon gekannt. Aber warum hatte ich mich so um diese Diana gesorgt?
     
    Ich schreibe ununterbrochen seit Stunden, der Daumen schmerzt mich, und gegessen habe ich bloß kurz zwischendurch am Arbeitstisch, ein paar Scheiben Brot mit Butter und Pâté, dazu ein paar Gläser Château Latour, um das Gedächtnis anzuregen.
    Eigentlich hätte ich mich jetzt gern mit einem Besuch zum Beispiel im Brébant-Vachette belohnt, aber solange ich nicht herausgefunden habe, wer ich bin, kann ich mich draußen nicht zeigen. Früher oder später werde ich mich jedoch zur Place Maubert wagen, um etwas für morgen einzukaufen.
    Also rasch wieder an die Arbeit!
     
    In den Jahren, als ich ins Magny ging (das muss ’85 oder ’86 gewesen sein), hatte ich auch denjenigen kennengelernt, den ich nach wie vor als den österreichischen Doktor in Erinnerung habe. Jetzt fällt mir auch sein Name wieder ein, er hieß Froïde (ich glaube, so schreibt er sich), ein Arzt um die Dreißig, der sicher nur deshalb ins Magny kam, weil er sich nichts Besseres leisten konnte, und der eine Lehrzeit bei Charcot verbrachte. Er setzte sich gewöhnlich an den Nachbartisch, und anfangs beschränkten wir uns darauf, einander zur Begrüßung höflich zuzunicken. Ich schätzte ihn als geborenen Melancholiker ein, leicht fremdelnd und schüchtern hoffend, mit jemandem ins Gespräch zu kommen, um etwas von dem loszuwerden, was ihn beschäftigte. Bei zwei oder drei Gelegenheiten hatte er nach Vorwänden gesucht, um ein paar Worte mit mir zu wechseln, aber ich war nicht darauf eingegangen.
    Auch wenn der Name Froïde mir nicht wie Steiner oder Rosenberg klang, wusste ich doch, dass alle Juden, die in Paris leben und sich hier bereichern, deutsche Namen haben, und angesichts seiner Hakennase fragte ich eines Tages Du Maurier, aber der machte nur eine vage Geste und sagte: »Ich weiß nicht recht, aber jedenfalls halte ich ihn mir fern, Jude und Deutscher ist eine Mischung, die mir nicht gefällt.«
    »Ist er nicht Österreicher?«
    »Das kommt doch aufs selbe hinaus, oder? Selbe Sprache, selbe Denkweise. Ich habe nicht vergessen, wie die Preußen über die Champs-Élysées defilierten.«
    »Es heißt, der Arztberuf sei bei den Juden einer der

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