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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sollte, kam jetzt nicht mehr in Frage. Wie kann ich mich mit jemandem treffen, wenn ich nicht einmal mehr weiß, wer ich selber bin? Ich muss mich irgendwo verstecken, bis ich Klarheit darüber gewonnen habe. Drumont… Ich redete mir ein, sehr gut zu wissen, wer das sei, aber wenn ich ihn mir vorzustellen versuchte, war mein Kopf wie von zuviel Wein benebelt.
    Stellen wir ein paar Hypothesen auf, sagte ich mir. Erstens: Dalla Piccola ist ein anderer, der aus mysteriösen Gründen oft in meine Wohnung kommt, die durch einen mehr oder minder geheimen Korridor mit der seinen verbunden ist. Am Abend des 21. März ist er zu mir in die Impasse Maubert gekommen, hat seine Soutane dort abgelegt (aber warum?) und ist dann zum Schlafen in seine Wohnung gegangen, wo er am nächsten Morgen ohne Gedächtnis aufgewacht ist. So wie ich zwei Tage später ohne Gedächtnis aufgewacht bin. Aber was hätte ich dann am 22. März so Einschneidendes erlebt oder getan, dass ich am Morgen des 23. ohne Gedächtnis aufgewacht bin? Und wieso sollte Dalla Piccola sich bei mir ausgezogen haben, um dann ohne Soutane in seine Wohnung zu gehen – und zu welcher Uhrzeit? Mich schauderte bei dem Gedanken, dass er die erste Hälfte der Nacht in meinem Bett verbracht haben könnte… Mein Gott, es stimmt, dass die Frauen mir Abscheu einflößen, aber mit einem Priester wäre es noch schlimmer. Ich bin keusch, aber nicht pervers…
    Oder aber, zweitens, Dalla Piccola und ich sind ein und dieselbe Person. Da ich die Soutane in meiner Wohnung gefunden habe, hätte ich nach der Messe (am 21.) in die Impasse Maubert gekommen sein können, gekleidet als Dalla Piccola (wenn ich zu einer Messe gehen musste, war es glaubwürdiger, als Abbé hinzugehen), um mich dann der Soutane und der Perücke zu entledigen und später zum Schlafen in die Wohnung des Abbé zu gehen (und zu vergessen, dass ich die Soutane bei Simonini gelassen hatte). Am nächsten Morgen, also am Dienstag, dem 22., als Dalla Piccola aufgewacht, hätte ich nicht nur mein Gedächtnis verloren, sondern auch die Soutane nicht zu Füßen des Bettes vorgefunden. Als Dalla Piccola, ohne Gedächtnis, hätte ich eine Ersatzsoutane im Korridor gefunden und alle Zeit gehabt, am selben Tage nach Auteuil zu fliehen, um mich jedoch gegen Ende des Tages eines anderen zu besinnen, wieder Mut zu fassen und am späten Abend nach Paris zurückzukehren, in die Wohnung an der Impasse Maubert zu gehen, dort die Soutane an den Haken im Schlafzimmer zu hängen und am Mittwochmorgen, erneut ohne Gedächtnis, aber als Simonini aufzuwachen, in der Meinung, es sei noch Dienstag. Infolgedessen, sagte ich mir, hatte Dalla Piccola den 22. März vergessen und einen ganzen Tag aus seinem Gedächtnis gelöscht, um am 23. als ein gedächtnisloser Simonini aufzuwachen. Nichts Außergewöhnliches nach dem, was ich von diesem Doktor an der Klinik in Vincennes – wie hieß er noch gleich? – erfahren hatte.
    Bis auf ein kleines Problem. Ich las noch einmal meine Notizen: Wenn es so gewesen wäre, hätte Simonini am 23. morgens in seinem Schlafzimmer nicht eine, sondern zwei Soutanen vorfinden müssen: die, die er in der Nacht des 21., und die, die er in der Nacht des 22. dort gelassen hatte. Aber da war nur eine.
    Doch nein, was bin ich für ein Dummkopf! Dalla Piccola war am Abend des 22. aus Auteuil in die Rue Maître-Albert zurückgekommen, hatte dort seine Soutane abgelegt, war dann in die Wohnung an der Impasse Maubert hinübergegangen, um dort zu schlafen, war am nächsten Morgen (dem 23.) als Simonini aufgewacht und hatte nur eine Soutane am Haken vorgefunden. Zwar hätte ich, wenn es so gewesen wäre, als ich an jenem Morgen in Dalla Piccolas Wohnung eingedrungen war, dort die Soutane vorfinden müssen, die er am Abend des 22. abgelegt hatte. Aber er hätte sie ja auch wieder in den Korridor zurückbringen können, in dem er sie gefunden hatte. Ich brauchte bloß nachzusehen.
    So ging ich mit der Lampe und nicht ohne ein bisschen zu zittern erneut in den Korridor. Wenn Dalla Piccola nicht ich gewesen wäre, sagte ich mir, dann hätte ich sehen können, wie er am anderen Ende des Korridors auftauchte, womöglich ebenfalls mit einer Lampe in der Hand… Zum Glück ist das nicht geschehen. Und am Ende des Korridors fand ich die Soutane am Haken hängen.
    Und doch, und doch… Wenn Dalla Piccola aus Auteuil zurückgekehrt wäre und, nachdem er die Soutane an den Haken gehängt hätte, durch den ganzen Korridor bis zu meiner

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