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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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fahrig hingekritzelten Zeilen, als hätte der Schreibende sich nur rasch etwas notiert, um darüber nachzudenken. Ich las mit einiger Mühe:
     
    Alles scheint unwirklich. Als wäre ich ein anderer, der mich beobachtet. Aufschreiben, um sicher zu sein, dass es stimmt.
    Heute ist der 22. März
    Wo sind die Soutane und die Perücke?
    Was habe ich gestern abend gemacht? Mir ist, als hätte ich Nebel im Kopf.
    Ich erinnere mich nicht einmal mehr, wohin die Tür hinten im Zimmer führt.
    Ich habe einen Korridor entdeckt (noch nie gesehen?), der voller Kleider, Perücken, Pasten und Schminke ist, wie Schauspieler sie gebrauchen.
    Am Haken hing eine gute Soutane, und auf einem Wandbord habe ich nicht nur eine gute Perücke gefunden, sondern auch falsche Wimpern. Mit einer fahlgelben Haut und leicht geröteten Wangen bin ich wieder der geworden, der ich zu sein glaube, bleich und leicht fiebrig. Asketisch. Das bin ich. Ich wer?
    Ich weiß, dass ich der Abbé Dalla Piccola bin. Oder genauer: der, den die Welt als Abbé Dalla Piccola kennt. Aber offensichtlich bin ich es nicht, denn um wie er auszusehen, muss ich mich ja verkleiden.
    Wohin führt dieser Korridor? Angst, bis ans Ende zu gehen.
    Diese Notizen wiederlesen. Wenn geschrieben steht, was da geschrieben steht, ist es mir wirklich passiert. Den geschriebenen Dokumenten vertrauen.
    Hat mir jemand einen Trank verabreicht? Boullan? Der wäre dazu fähig. Oder die Jesuiten? Oder die Freimaurer? Was habe ich mit denen zu tun?
    Die Juden! Ja, die könnten es gewesen sein.
    Ich fühle ich mich nicht mehr sicher hier. Jemand könnte nachts eingedrungen sein, sich meine Kleider geholt und, schlimmer noch, in meinen Papieren herumgewühlt haben. Womöglich geht jemand in Paris umher, der sich erfolgreich als Abbé Dalla Piccola ausgibt.
    Ich muss nach Auteuil fliehen. Vielleicht weiß Diana weiter. Wer ist Diana?
     
    Hier endeten die Notizen des Abbé Dalla Piccola, und ich fand es merkwürdig, dass er ein so vertrauliches Dokument nicht mitgenommen hatte, er musste sehr aufgeregt gewesen sein. Und damit endete auch, was ich über ihn erfahren konnte.
    Ich ging zurück in die Wohnung an der Impasse Maubert und setzte mich an meinen Arbeitstisch. Auf welche Weise überkreuzte sich das Leben des Abbé Dalla Piccola mit meinem?
    Natürlich konnte ich nicht umhin, die nächstliegende Hypothese aufzustellen: Abbé Dalla Piccola und ich sind ein und dieselbe Person, und wenn dem so wäre, würde sich alles erklären, die beiden miteinander verbundenen Wohnungen und sogar, dass ich als Dalla Piccola verkleidet in Simoninis Wohnung gekommen wäre, die Soutane und die Perücke abgelegt hätte und dann zu Bett gegangen wäre. Alles bis auf ein kleines Detail: Wenn Simonini identisch mit Dalla Piccola war, warum wusste ich dann nichts von Dalla Piccola und fühlte mich nicht als Dalla Piccola, der nichts von Simonini wusste? Ja, um Dalla Piccolas Gedanken und Gefühle kennenzulernen, hatte ich erst seine Notizen lesen müssen! Und wenn ich identisch mit Dalla Piccola wäre, hätte ich in Auteuil sein müssen, in jenem Hause, von dem er alles zu wissen schien und ich (Simonini) überhaupt nichts. Und wer war Diana?
    Es sei denn, ich wäre manchmal Simonini, der Dalla Piccola vergessen hat, und manchmal Dalla Piccola, der Simonini vergessen hat. Das wäre nichts Neues. Wer war es, der mit mir über Fälle von Persönlichkeitsspaltung gesprochen hatte? Ist das nicht die Krankheit, an der Diana leidet? Aber wer ist Diana?
    Ich nahm mir vor, methodisch vorzugehen. Ich wusste, dass ich ein Notizbuch führte, in das ich meine Termine eintrug, und da fand ich folgende Einträge:
     
    21. März, Messe
    22. März, Taxil 15
    23. März, Guillot wg. Testament Bonnefoy
    24. März, zu Drumont? 17
     
    Wieso ich am 21. März zur Messe gehen sollte, weiß ich nicht, ich glaube nicht, dass ich gläubig bin. Wer gläubig ist, glaubt an etwas. Glaube ich an etwas? Mir scheint nein. Also bin ich ungläubig. Das ist Logik. Aber lassen wir das. Manchmal geht man aus vielen Gründen zur Messe und der Glaube spielt gar keine Rolle.
    Sicherer war, dass der Tag, den ich für Dienstag gehalten hatte, Mittwoch, der 23. März war, und tatsächlich ist da ja dieser Guillot gekommen, um sich von mir das Testament Bonnefoy machen zu lassen. Es war der 23., und ich hatte gedacht, es sei der 22. gewesen. Was war am 22. März geschehen? Wer oder was war Taxil?
    Dass ich dann am heutigen Donnerstag einen Drumont aufsuchen

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