Die historischen Romane
du von ihr, nicht wahr? Und vielleicht berührst du dich dann unzüchtig, wenn du von ihr phantasierst, du solltest auch mal Tissot lesen… Aber ich ließ ihn erzählen.
»Da waren illustre Gäste, der Sohn von Daudet, Doktor Strauss, der Assistent von Pasteur, Professor Beck vom Institut und Emilio Toffano, der große italienische Maler. Der Abend hatte mich vierzehn Francs gekostet, für eine schöne schwarze Krawatte aus Hamburg, weiße Handschuhe, ein neues Hemd – und den Frack, zum ersten Mal in meinem Leben. Und gleichfalls zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich mir den Bart stutzen lassen, à la française . Und gegen die Schüchternheit half eine Prise Kokain, um mir die Zunge zu lösen.«
»Kokain? Ist das nicht ein Gift?«
»Alles ist Gift, wenn man es in zu hoher Dosis nimmt, auch der Wein. Aber ich studiere seit zwei Jahren diese wunderbare Substanz. Sehen Sie, Kokain ist ein Alkaloid, das aus einer Pflanze gewonnen wird, die die Indios in Südamerika kauen, um die großen Andenhöhen zu ertragen. Im Unterschied zum Opium und zum Alkohol ruft es geistige Erregungszustände hervor, ohne deswegen negative Effekte zu haben. Es ist hervorragend als Analgetikum, besonders in der Augenheilkunde oder bei Asthma, nützlich bei der Behandlung von Alkoholismus und Drogensucht, perfekt gegen Seekrankheit, wertvoll zur Kur von Diabetes, es vertreibt wie durch Zauber den Hunger und Müdigkeit, es ist ein guter Tabakersatz, es heilt Verdauungsstörungen, Blähungen, Koliken, Magenkrämpfe, Hypochondrie, Migräne, Rückgratentzündung, Heuschnupfen, es ist ein wertvolles Stärkungsmittel bei Schwindsucht, und in Fällen von akuter Karies genügt es, in den Hohlraum einen winzigen, mit einer vierprozentigen Lösung getränkten Wattebausch einzuführen, und der Schmerz lässt sofort nach. Aber vor allem ist es ein wunderbares Mittel, um Depressiven wieder Vertrauen einzuflößen, ihren Geist aufzurichten, sie wieder aktiv und optimistisch zu machen.«
Der Doktor war inzwischen bei seinem vierten Bier und offensicht lich in einem melancholischen Rausch. Er beugte sich zu mir vor, als wollte er mir etwas gestehen.
»Kokain ist optimal für einen wie mich, der sich, wie ich immer zu meiner verehrungswürdigen Martha sage, nicht für besonders attraktiv hält, der als Jugendlicher nie richtig jung gewesen ist und jetzt mit dreißig noch nicht richtig gereift. Es gab eine Zeit, da war ich ganz voller Ehrgeiz und Lernwille und fühlte mich Tag für Tag entmutigt durch den Umstand, dass Mutter Natur mir nicht in einem ihrer gütigen Momente den Stempel jenes Genies aufgedrückt hat, das sie hin und wieder einem von uns gewährt.«
Er verstummte plötzlich mit der Miene dessen, dem bewusst wird, dass er sein Innerstes bloßgelegt hat. Kleiner lamentierender Jude, sagte ich mir. Und beschloss, ihn in Verlegenheit zu bringen.
»Spricht man vom Kokain nicht auch als einem Aphrodisiakum?« fragte ich.
Froïde errötete. »Es hat auch diese Kraft, glaube ich, aber… ich habe keine einschlägigen Erfahrungen. Als Mann bin ich für diese Reizungen nicht empfänglich. Und als Arzt hat mich das Thema Sexualität nie besonders interessiert. Obwohl man jetzt auch in der Salpêtrière angefangen hat, viel darüber zu sprechen. Charcot hat entdeckt, dass eine seiner Patientinnen, eine gewisse Augustine, in einer fortgeschrittenen Phase ihrer hysterischen Manifestationen zu erkennen gegeben hat, dass ihr primäres Trauma eine als Kind erlittene Vergewaltigung war. Natürlich leugne ich nicht, dass es unter den hysterieauslösenden Traumata auch Phänomene geben kann, die mit der Sexualität verbunden sind, wie könnte ich auch. Nur scheint es mir einfach übertrieben, alles auf Sexualität zurückzuführen. Aber vielleicht ist es ja meine kleinbürgerliche Prüderie, die mich von diesen Problemen abhält.«
Nein, sagte ich mir, es ist nicht deine Prüderie, es liegt daran, dass du wie alle Beschnittenen deiner Rasse vom Sex besessen bist, aber es zu vergessen suchst. Ich möchte sehen, wenn du deine schwitzigen Hände auf diese deine Martha legst, ob du ihr nicht eine Brut kleiner Juden machst und sie vor lauter Anstrengung schwindsüchtig werden lässt…
Unterdessen fuhr Froïde fort: »Mein Problem ist eher, dass mir meine Kokainvorräte ausgegangen sind und ich im Begriff bin, in die Melancholie zurückzufallen, die antiken Ärzte würden sagen, ich hätte einen Erguss schwarzer Galle. Früher bezog ich die
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