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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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»Sie sind eine verfluchte Rasse, und ihr Talmud verlangt, wie jeder versichert, der ihn zu lesen weiß, dass sie dreimal täglich die Christen verfluchen und Gott bitten, sie auszurotten und zu vernichten, und dass, wenn einer von ihnen einen Christen an einem Abhang trifft, er ihn hinunterstoßen muss. Weißt du, warum du den Namen Simon trägst? Ich habe gewollt, dass deine Eltern dich so tauften, zum Gedenken an San Simonino, ein Märtyrerkind aus Trient, das im fünfzehnten Jahrhundert von den Juden entführt worden ist, die es ermordet und zerstückelt haben, um sein Blut für ihre Riten zu verwenden.«
     
    * * *
     
    »Wenn du nicht brav bist und sofort schlafen gehst, kommt heute Nacht der schreckliche Mordechai zu dir.« So droht mir der Großvater. Und ich kann nicht einschlafen in meinem kleinen Zimmer unterm Dach, ich horche auf jedes Knistern und Knarren in dem alten Haus, schon höre ich auf der hölzernen Treppe die Schritte des schrecklichen Alten, der mich holen kommt, um mich in sein höllisches Loch zu zerren und mir ungesäuertes Brot in den Mund zu stopfen, in dessen Teig das Blut von Märtyrerkindern geknetet ist. Vermengt mit anderen Geschichten, die ich von Mamma Teresa gehört habe, der alten Magd und Amme, die schon meinen Vater gesäugt hat und immer noch im Hause umherschlurft, höre ich Mordechai, wie er sabbernd lispelt: »Sniff, snaff, snuffel, ich rieche Christenmuffel.«
     
     
     
    * * *
     
    Ich bin fast vierzehn und war schon mehrmals versucht, ins Ghetto zu gehen, das inzwischen über seine alten Grenzen hinausgewuchert ist, da in Piemont viele einstige Restriktionen aufgehoben worden sind. Vielleicht, wenn ich mich an den Rändern dieser verbotenen Welt herumtreibe, begegne ich einigen Juden, aber ich habe gehört, dass viele von ihnen ihre jahrhundertealten Trachten abgelegt haben. Sie verkleiden sich, sagt Großvater, sie gehen neben uns her, und wir wissen es gar nicht… Während ich mich also an jenen Rändern herumtrieb, bin ich einem schwarzhaarigen Mädchen begegnet, das jeden Morgen die Piazza Carlina überquerte, um einen mit einem Tuch bedeckten Korb in einen nahen Laden zu bringen. Feuriger Blick, samtene Augen… Undenkbar, dass sie eine Jüdin ist, unvorstellbar, dass diese Väter, die Großvater mir mit Raubvogelgesicht und stechenden Augen beschreibt, so rassige Weibsbilder zeugen können. Und doch kann sie nur aus dem Ghetto kommen.
    Es ist das erste Mal, dass ich eine Frau ansehe, die nicht Mamma Teresa ist. Ich gehe jeden Morgen hin, und wenn ich sie in der Ferne sehe, spüre ich, wie mein Herz zu klopfen beginnt. An Tagen, wenn ich sie nicht sehe, treibe ich mich auf dem Platz herum, als suchte ich einen Fluchtweg und lehnte sie allesamt ab, und mittags bin ich immer noch dort, wenn der Großvater mich zu Hause bei Tisch erwartet und wütend Brotkrumen kaut.
    Eines Morgens wage ich sie anzusprechen, ich frage sie mit niedergeschlagenen Augen, ob ich ihr helfen könne, den Korb zu tragen. Sie antwortet lachend im Dialekt, den könne sie sehr gut alleine tragen. Sie nennt mich nicht monssü , mein Herr, sondern gagnu , Bübchen. Ich habe sie nie mehr gesucht, ich habe sie nie mehr gesehen. Bin ich von einer Tochter Zions beleidigt worden? Vielleicht weil ich so dick bin? In jedem Fall hat hier mein Krieg mit allen Töchtern Evas begonnen.
     
    * * *
     
    Während meiner ganzen Kindheit hat mich Großvater nicht in die Schulen des Königreichs schicken wollen, weil dort, wie er sagte, nur Republikaner und Carbonari unterrichteten. Ich habe all die Jahre im Hause gelebt, allein, stundenlang neidisch den anderen Kindern nachblickend, die am Flussufer spielten, als nähmen sie mir etwas weg, was mir gehörte. Und die übrige Zeit verbrachte ich eingeschlossen in einem Zimmer mit einem Hauslehrer, einem Jesuitenpater, den Großvater jeweils meinem Alter entsprechend aus dem Kreise der ihn umgebenden Schwarzröcke auswählte. Ich hasste den jeweiligen Lehrer, nicht nur weil er mich alles, was er mir beibringen wollte, mit Stockschlägen auf die Finger lehrte, sondern auch weil mein Vater (die seltenen Male, in denen er sich zerstreut mit mir unterhielt) mir seinen Priesterhass einflößte.
    »Aber meine Lehrer sind keine Priester, sondern Jesuitenpatres«, sagte ich.
    »Das ist noch schlimmer«, entgegnete er. »Traue nie einem Jesuiten. Weißt du, was ein frommer Priester namens Gioberti geschrieben hat, wohlgemerkt ein Priester, nicht ein Freimaurer oder ein

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