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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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behagte mir gar nicht, mich unter diese Leute zu mischen, aber das Judenghetto war der einzige Ort, den zu betreten niemandem einfallen würde, die Juden durften ihn nicht verlassen, und die braven Leute hielten sich von ihm fern.«
    Der Großvater schlug sich die Hände vor die Augen, wie um eine unerträgliche Vision zu verscheuchen: »So habe ich, in der Hoffnung, dass der Sturm sich bald legte, in jenen schmutzigen Löchern gelebt, wo manchmal bis zu acht Personen in einem einzigen Raum wohnten, der gleichzeitig Küche, Schlafraum und Abtritt war, alle von Anämie verzehrt, die Haut wie aus Wachs und leicht bläulich wie Sèvres-Porzellan, immer bemüht, sich in die entlegensten Winkel zu drücken, die nur vom Licht einer Kerze erhellt wurden. Nicht ein Tropfen Blut, der Teint gelblich, das Haar fischleimfarben, der Bart in einem undefinierbaren Rostrot oder, wenn er schwarz war, graufleckig wie ein abgetragener Gehrock… Ich konnte den Gestank im Hause nicht ertragen und trieb mich in den fünf Höfen herum, ich erinnere mich noch gut, sie hießen Cortile Grande, Cortile dei Preti, Cortile della Vite, Cortile della Taverna und Cortile della Terrazza, und sie waren durch finstere Torgänge, die Portici Oscuri, miteinander verbunden. Heute findest du Juden auch auf der Piazza Carlina, ja du findest sie überall, denn die feigen Savoyer gehen vor ihnen in die Knie, aber damals drängten sie sich dicht an dicht in jenen lichtlosen Gassen, und ich hätte mich, eingezwängt in jene schmierige, schmutzige Menge – wäre nicht meine Angst vor den Bonapartisten gewesen – gewiss übergeben…«
    Der Großvater machte eine Pause und befeuchtete sich die Lippen mit einem Taschentuch, wie um einen unerträglichen Geschmack loszuwerden. »Und ihnen hatte ich meine Unversehrtheit zu verdanken, welch eine Demütigung! Doch wenn wir Christen sie verachteten, waren auch sie alles andere als lieb zu uns, im Gegenteil, sie hassten uns, wie sie’s ja auch heute noch tun. So erzählte ich ihnen, ich sei in Livorno geboren, in einer jüdischen Familie, und sei als Waise von Verwandten aufgezogen worden, die mich unglücklicherweise taufen ließen, aber im Herzen sei ich immer Jude geblieben. Das schien sie nicht weiter zu beeindrucken, denn – so sagten sie – vielen von ihnen sei es ähnlich ergangen, ohne dass sie noch großes Aufhebens davon machten. Aber ich hatte mir durch meine Worte das Vertrauen eines Alten erworben, der im Cortile della Terrazza wohnte, neben einem Backofen, in dem sie ihr ungesäuertes Brot buken.«
    Hier wurde der Großvater lebhafter und imitierte mit rollenden Augen und großen Handbewegungen den alten Juden, von dem er erzählte. Wie es scheint, war dieser Mordechai in Syrien geboren und in Damaskus in eine trübe Geschichte geraten. In der Stadt war ein kleiner arabischer Junge verschwunden, und zunächst hatte man nicht die Juden als Täter verdächtigt, weil man meinte, die Juden töteten für ihre Riten nur Christenkinder. Aber dann fand man in einem Graben die Reste eines Kinderleichnams, der in Stücke gerissen und mit einem Mörser zerstampft worden sein musste. Die Umstände des Verbrechens glichen so haargenau denen, die man den Juden vorzuwerfen pflegte, dass die Gendarmen nun doch zu glauben begannen, die Juden hätten, als Ostern nahte und sie Christenblut für den Teig ihres ungesäuerten Brotes brauchten, aber kein Christenkind finden konnten, kurzerhand einen Araberjungen genommen, ihn getauft und sodann zerstückelt.
    »Du weißt doch«, kommentierte der Großvater, »eine Taufe ist immer gültig, von wem sie auch vorgenommen wird, solange man sie nach dem Ritus der Heiligen Römischen Kirche vornimmt, was die perfiden Juden natürlich wissen, weshalb sie sich nicht schämen zu sagen: ›Ich taufe dich, wie es ein Christ tun würde, an dessen Götzenkult ich zwar nicht glaube, den er jedoch in bestem Glauben befolgt.‹ So hatte der kleine Märtyrer wenigstens das Glück, ins Paradies zu kommen, wenn auch durch die Hand des Teufels.«
    Mordechai war sofort verdächtigt worden. Um ihn zum Reden zu bringen, hatten sie ihm die Hände auf den Rücken gebunden und Gewichte an die Füße gehängt und ihn mehr als zehnmal mit einer Winde hochgezogen und auf den Boden fallen lassen. Dann hatten sie ihm Schwefel unter die Nase gehalten und ihn in eiskaltes Wasser getaucht, und wenn er den Kopf herausstreckte, drückten sie ihn wieder hinein, bis er gestand. Andere sagten, um der Sache ein

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