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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Carbonaro? Es sei das Jesuitentum, das die mit freiem Geist begabten Menschen anschwärzt, belästigt, plagt, beschimpft, verfolgt und ruiniert, es sei das Jesuitentum, das die Guten und Tüchtigen aus den öffentlichen Ämtern verdrängt und durch trübe und gemeine Figuren ersetzt, es sei das Jesuitentum, das die öffentliche und private Erziehung verlangsamt, behindert, stört und auf tausenderlei Weise verdirbt, das Misstrauen, Bitterkeit, Groll, Hass und Streit sowie offene und verborgene Zwietracht unter den Individuen, in den Familien, zwischen den Klassen, den Staaten und Völkern sät, es sei das Jesuitentum, das die Intellektuellen schwächt, die Herzens- und Willensregungen mit Trägheit zügelt, die Jungen mit einer weichen Disziplin entnervt, das reife Alter mit einer nachgiebigen und heuchlerischen Moral korrumpiert, die Freundschaft, die familiären Gefühle, die Sohnesliebe, die heilige Liebe zum Vaterland bei der größten Zahl von Bürgern bekämpft, erkalten und erlöschen lässt…«
    Keine Sekte auf der Welt sei so herzlos – habe dieser Gioberti erklärt –, so hart und gnadenlos, wenn es um ihre Interessen gehe, wie die Societas Jesu . Unter seinem milden und schmeichlerischen Gesicht, seinen honigsüßen Worten und seiner leutseligen Redeweise habe der Jesuit, der sich streng an die Disziplin des Ordens halte und auf die Worte seiner Oberen höre, eine Seele aus Eisen, unzugänglich für die heiligsten Gefühle und edelsten Affekte. Rigoros befolge er die Vorschrift Machiavellis, derzufolge man, wenn es um das Heil des Vaterlandes geht, keinerlei Bedenken haben darf, weder im Hinblick auf Recht oder Unrecht noch auf Erbarmen oder Grausamkeit. Und darum würden sie von klein auf im Kolleg dazu erzogen, keine Familienliebe zu kultivieren, keine Freunde zu haben, sich bereit zu halten, ihren Oberen jede noch so kleine Verfehlung auch des liebsten Kameraden zu melden, jede Herzensregung zu disziplinieren und sich dem absoluten Gehorsam zu unterwerfen, perinde ac cadaver . Während die indische Mördersekte der Phasingars ihrem Gott die Leiber ihrer Feinde opfere, die sie mit einer Schlinge oder einem Dolch getötet habe, töteten die italienischen Jesuiten die Seele mit der Zunge, wie die Reptilien, oder mit der Feder.
    »Auch wenn es mich immer ein bisschen belustigt hat«, schloss mein Vater, »dass Gioberti einige dieser Ideen aus zweiter Hand hatte, nämlich aus dem ein Jahr zuvor erschienenen Roman Der Ewige Jude von Eugène Sue. 7 «
     
    * * *
     
    Mein Vater. Das schwarze Schaf der Familie. Wollte man Großvater glauben, so hatte er sich mit den Carbonari eingelassen oder jedenfalls mit den Freimaurern. Wenn er auf die Ansichten seines Vaters zu sprechen kam, begnügte er sich, mir halblaut zu sagen, ich solle nicht auf seine Phantastereien hören, aber ich weiß nicht, ob aus Scham, aus Respekt vor seinem Vater oder aus Desinteresse an mir vermied er es, mit mir über seine eigenen Ideale zu sprechen. Es genügte mir aber, ein paar Gespräche des Großvaters mit seinen Jesuitenpatres zu belauschen oder auf den Klatsch zwischen Mamma Teresa und dem Pförtner zu horchen, um zu begreifen, dass mein Vater zu denen gehörte, die nicht nur die Revolution und Napoleon guthießen, sondern sogar von einem Italien sprachen, das sich die Habsburger, die Bourbonen und den Papst vom Halse schaffen müsse, um endlich eine Nation zu werden (ein Wort, das man in Gegenwart des Großvaters nicht einmal aussprechen durfte).
     
    * * *
     
    Die ersten Rudimente waren mir von dem fuchsgesichtigen Pater Pertuso beigebracht worden. Pater Pertuso war der erste gewesen, der mich etwas über die Geschichte unserer Gegenwart lehrte (während Großvater mir alles über die Vergangenheit erzählte).
    Später kamen dann die ersten Gerüchte über die Carbonari auf – ich las darüber in den Zeitungen, die für meinen abwesenden Vater ins Haus kamen und die ich mir sicherte, bevor Großvater sie vernichten ließ –, und ich erinnere mich, dass ich die Latein- und Deutschstunden absitzen musste, die mir Pater Bergamaschi erteilte, der so intim mit Großvater war, dass ihm ein kleines Zimmer nicht weit von meinem zur Verfügung stand. Pater Bergamaschi… Im Gegensatz zu Pater Pertuso war er ein junger Mann von schöner Erscheinung, mit welligem Haar, wohlgeformtem Gesicht und einer betörenden Redeweise, und zumindest im Hause trug er eine gepflegte Soutane. Seine weißen Hände kommen mir in den Sinn, mit ihren

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