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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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schlanken Fingern und den etwas zu langen Nägeln für einen Kirchenmann.
    Wenn er mich am Tisch sitzend über die Bücher gebeugt sah, setzte er sich oft hinter mich, streichelte mir den Kopf und warnte mich vor den vielen Gefahren, die einen unerfahrenen jungen Menschen bedrohen. Unter anderem erklärte er mir, dass die Bewegung der Carbonari nichts anderes sei als eine verkappte Form der größten aller Geißeln, nämlich des Kommunismus.
    »Die Kommunisten«, sagte er, »schienen bisher nicht so gefährlich, aber jetzt nach dem Manifest dieses Marss (so klang der Name in seinem Mund) müssen wir ihre Ränke aufdecken. Du weißt nichts über Babette von Interlaken. Als würdige Urenkelin von Weishaupt ist sie es, die man die hehre Jungfrau des helvetischen Kommunismus genannt hat.«
    Wer weiß, warum Pater Bergamaschi sich so obsessiv für die religiösen Konflikte zwischen Schweizer Katholiken und Protestanten zu interessieren schien, mehr als für die Aufstände in Mailand und Wien, von denen man in jenen Tagen sprach.
    »Babette war in Lug und Trug geboren und aufgewachsen unter Säufern, Räubern und Mördern; Gott kannte sie nicht anders als aus den Flüchen, die sie ständig hörte. In den Scharmützeln bei Luzern, als die Radikalen einige Katholiken der Urkantone umgebracht hatten, war sie es, die ihnen das Herz ausreißen und die Augen ausstechen ließ. Babette, die ihr langes Blondhaar nach Art der Großen Hure von Babylon im Winde wehen ließ, verbarg unter dem Mantel ihrer Reize die Tatsache, dass sie die Heroldin der Geheimgesellschaften war, die Dämonin, der sich alle Ränke und Tücken jener mysteriösen Kongregationen verdankten. Sie erschien plötzlich und verschwand blitzartig wie ein Irrlicht, kannte undurchdringliche Geheimnisse, fing diplomatische Depeschen ab und öffnete sie, ohne das Siegel zu brechen, schlich sich wie eine Natter in die innersten Kabinette von Wien und Berlin und sogar St. Petersburg ein, fälschte Wechsel, änderte Passnummern, kannte schon als Kind den Umgang mit Giften und wusste sie anzuwenden, wie es die Sekte befahl. Sie schien vom Satan besessen, so groß war die betörende Kraft ihrer Blicke.«
    Ich saß mit weit aufgerissenen Augen da und versuchte nicht hinzuhören, aber nachts erschien mir Babette von Interlaken im Traum. Und während ich im Halbschlaf das Bild dieser blonden Dämonin mit wehendem Haar auf den sicherlich nackten Schultern zu verscheuchen suchte, dieses dämonisch lockende Irrlicht mit vor sündiger Wollust bebendem Busen, schwebte sie mir als Modell zur Nachahmung vor – oder besser, während ich beim bloßen Gedanken, sie mit den Fingern zu berühren, Grauen verspürte, kam mir der Wunsch, so zu sein wie sie, ein allmächtiger und geheimer Agent, der Passnummern ändert, um seine Opfer vom anderen Geschlecht ins Verderben zu stürzen.
     
     
     
    * * *
     
    Meine Lehrer liebten es, gut zu speisen, und dieses Laster muss mir von damals geblieben sein. Ich erinnere mich an Tafelrunden, die, wenn nicht ausgelassen, so doch wenigstens reuevoll waren und bei denen die guten Patres über die Vortrefflichkeit eines bollito misto diskutierten, den mein Großvater zubereitet hatte.
    Man braucht dazu mindestens ein halbes Kilo Muskelfleisch, ein Endstück mit Schwanz, kleine Salami, Kalbszunge, Kalbskopf, Schlackwurst, Huhn, eine Zwiebel, zwei Karotten, zwei Selleriestangen und eine Handvoll Petersilie. Das Ganze verschieden lang kochen lassen, je nach der Art des Fleisches. Doch wie Großvater mahnend sagte und Pater Bergamaschi mit energischem Kopfnicken unterstrich, sobald das Gericht auf dem Servierteller lag, mussten eine Handvoll grobes Salz über das Fleisch gestreut und einige Esslöffel kochende Brühe darübergegossen werden, um den Geschmack gebührend hervortreten zu lassen. Wenige Beilagen, außer ein paar Kartoffeln, aber fundamental die Soßen, sprich Traubensenf, Rettichsoße, Senfsoße, aber vor allem – darauf bestand der Großvater – das grüne Bad: eine Handvoll Petersilie, vier Sardellenfilets, das Innere einer Semmel, ein Löffel Kapern, eine Knoblauchzehe, ein hartgekochtes Eigelb. Das Ganze fein zerkleinert, mit Essig und Öl.
    Dies waren, so erinnere ich mich, die Freuden meiner Kindheit und Jugend. Was will man mehr?
     
    * * *
     
    Ein schwüler Nachmittag. Ich sitze am Tisch und lerne. Pater Bergamaschi setzt sich leise hinter mich, seine Hand legt sich fest auf meinen Nacken, und er raunt mir ins Ohr, dass er einem so

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