Die historischen Romane
er ihnen das nebensächliche Detail verschwieg, dass Nubius längst tot war.
Bis er eines Tages einen Brief vorlegte, den zu fabrizieren ihn nicht viel Mühe gekostet hatte, in welchem Nubius einen unmittelbar bevorstehenden Volksaufstand in ganz Piemont ankündigte, Stadt für Stadt. Die Gruppe, die Simonini anführte, solle dabei eine gefährliche und heroische Aufgabe übernehmen. Wenn sie sich an einem bestimmten Morgen im Hof der Osteria del Gambero versammle, werde sie dort Säbel und Gewehre vorfinden sowie vier Karren voll alter Möbel und Matratzen, mit denen sie sich zum Ausgang der Via Barbaroux begeben solle, um dort eine Barrikade zu errichten, die den Zugang zur Piazza Castello versperre. Dann solle sie auf weitere Order warten.
Mehr brauchte es nicht, um die Gemüter der rund zwanzig Studenten zu entzünden: Prompt versammelten sie sich an jenem schicksalhaften Morgen im Hof der Weinschenke und fanden dort tatsächlich, versteckt in ein paar alten Fässern, die versprochenen Waffen. Noch während sie sich nach den Karren mit dem alten Hausrat umsahen, ohne daran gedacht zu haben, ihre Gewehre zu laden, wurde der Hof von fünfzig Gendarmen mit vorgehaltener Waffe gestürmt. Widerstandslos ergaben sich die jungen Leute, wurden entwaffnet, hinausgebracht und beiderseits des Eingangs mit dem Gesicht zur Wand aufgereiht. »Vorwärts, Kanaillen, Hände hoch, Ruhe!« rief ein Beamter in Zivil mit ausnehmend finsterer Miene.
Während die Verschwörer anscheinend fast zufällig aufgereiht wurden, stellten zwei Gendarmen Simonini ganz ans Ende der Reihe, genau an die Ecke einer Gasse, und kurz darauf wurden sie von einem ihrer Serganten gerufen und entfernten sich zum Eingang des Hofes. Das war der (vereinbarte) Moment. Simonini drehte sich zu dem neben ihm stehenden Kameraden und raunte ihm etwas zu. Ein rascher Blick zu den ziemlich weit entfernten Gendarmen, und schon waren die beiden um die Ecke geflitzt und rannten davon.
»Achtung! Die hauen ab!« rief jemand. Die beiden Fliehenden hörten die Rufe und Schritte der Gendarmen, die ebenfalls um die Ecke bogen, Simonini hörte zwei Schüsse, einer traf seinen Freund, aber Simonini fragte sich nicht, ob er tödlich war. Es genügte ihm, dass der zweite Schuss wie vereinbart in die Luft ging.
So kam es, dass er kurz darauf in eine andere Straße einbog, dann in noch eine andere, während er von weitem die Rufe der Verfolger hörte, die befehlsgemäß in die falsche Richtung liefen. Schon überquerte er die Piazza Castello und ging wie ein x-beliebiger Bürger nach Hause. Für seine Genossen, die man inzwischen abtransportiert hatte, war er entkommen, und da sie als Haufen verhaftet und sofort mit dem Gesicht zur Wand gedreht worden waren, hätte keiner der Gendarmen sich an Simoninis Gesicht erinnern können. Darum war es für ihn auch nicht nötig, Turin zu verlassen, und er konnte seine Arbeit ungestört wieder aufnehmen, ja die Familien der Verhafteten besuchen, um ihnen sein Beileid auszusprechen.
Blieb nur noch, zur Liquidation des Notars Rebaudengo zu schreiten, die in der vereinbarten Weise erfolgte. Dem Alten brach ein Jahr später das Herz im Gefängnis, aber Simonini fühlte sich nicht schuldig. Sie waren quitt: der Notar hatte ihm einen Beruf verschafft, und er war für ein paar Jahre sein Sklave gewesen, der Notar hatte seinen Großvater ruiniert, und Simonini hatte dasselbe mit ihm getan.
Dies war es, was der Abbé Dalla Piccola in Simoninis Tagebuch enthüllte. Und dass auch er sich nach all diesen Rückbesinnungen auf die Vergangenheit erschöpft fühlte, könnte man dadurch bewiesen sehen, dass sein Beitrag zum Tagebuch mit einem unvollendeten Satz aufhörte, als hätte er, während er schrieb, sich plötzlich in Luft aufgelöst.
6.
Im Dienst der Dienste
28. März 1897
Monsieur l’Abbé,
es ist merkwürdig, dass sich dies, was ein Tagebuch sein sollte (also zum Lesen nur für den bestimmt, der es schreibt), in einen Austausch von Botschaften verwandelt. Aber jetzt schreibe ich Ihnen einen richtigen Brief, da ich so gut wie sicher bin, dass Sie ihn eines Tages, wenn Sie wieder hier vorbeikommen, lesen werden.
Sie wissen zuviel über mich. Sie sind ein unbequemer Zeuge. Und übertrieben streng.
Ja, ich gebe es zu, meine carbonarisch gesinnten Kameraden und Rebaudengo habe ich nicht so behandelt, wie es den Sitten entspräche, die zu predigen Sie gehalten sind. Aber seien wir ehrlich, Rebaudengo war ein Schurke, und wenn
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