Die historischen Romane
gut, aber woher würden Sie wissen, wer die wahre Mutter des Betreffenden wäre?«
»Das würdest du mir doch gesagt haben! Du, der du ihn doch so gut kennst.«
»Und Sie würden mir vertrauen?«
»Ich vertraue meinen Klienten immer, denn ich bediene nur ehrenhafte Personen.«
»Aber wenn der Klient zufällig gelogen hat?«
»Dann ist er es, der gesündigt hat, nicht ich. Wenn ich auch nur zu denken anfinge, dass mich ein Kunde belogen haben könnte, würde ich diesen Beruf nicht mehr ausüben, denn er beruht auf ungetrübtem Vertrauen.«
Simonini war nicht ganz überzeugt, dass Rebaudengos Beruf einer war, den andere ehrlich genannt hätten, aber seit er in die Geheimnisse der Kanzlei eingeweiht worden war, hatte er an den Fälschungen teilgenommen, seinen Meister bald übertroffen und bei sich selbst ein wunderbares Talent zur Handschriftenimitation entdeckt.
Zudem lud ihn der Notar, fast als wollte er sich für seine Worte entschuldigen oder als hätte er die Schwäche seines Mitarbeiters erkannt, manchmal in Luxusrestaurants wie das Cambio ein (wo auch Graf Cavour speiste) und machte ihn mit den Mysterien der finanziera bekannt, einer Symphonie aus Hahnenkämmen, Kalbshirn, Kalbshoden und -gekröse, Rinderfilet, Steinpilzen, einem halben Glas Marsala, Mehl, Salz, Öl und Butter, das Ganze angesäuert durch eine alchimistische Dosis Essig – und um es standesgemäß zu genießen hätte man sich, wie der Name dieses Gerichts besagte (der die Berufskleidung des Finanzmannes bezeichnete), im Geh- oder Bratenrock präsentieren müssen.
Mag sein, dass Simonini trotz der Ermahnungen seines Vaters nicht zu heroischer Aufopferung erzogen worden war, aber für solche Abende war er bereit, Rebaudengo bis zum Tod zu dienen – jedenfalls bis zu dessen Tod, der nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.
Unterdessen war sein Gehalt gestiegen, wenn auch nur wenig, denn da sein Chef schwindelerregend schnell alterte, so dass er bald nicht mehr gut sehen konnte und seine Hände zitterten, war er für ihn unverzichtbar geworden. Doch gerade weil er sich nun etwas mehr gönnen konnte und es ihm nicht mehr gelang, die renommiertesten Turiner Restaurants zu meiden (ah, die Wonnen der agnolotti alla piemontese , wegen der Füllung mit gebratenem weißem und rotem Fleisch, gekochtem Rindfleisch, gekochtem Huhn ohne Knochen, mitgebratenem Wirsingkohl, vier ganzen Eiern, geriebenem Parmigiano, Muskatnüssen, Salz und Pfeffer, und als Sauce der Bratenfonds mit Butter, einer Knoblauchzehe und einem Rosmarienzweig), durfte der junge Simonini, um zu befriedigen, was immer mehr zu seiner größten fleischlichen Leidenschaft wurde, in jene Orte nicht mehr ärmlich gekleidet gehen, und so wuchsen mit seinen Möglichkeiten auch seine Ansprüche.
Bei der Arbeit mit dem Notar musste er feststellen, dass dieser nicht nur vertrauliche Aufträge für private Klienten ausführte, sondern – vielleicht um sich Rückendeckung zu verschaffen für den Fall, dass Teile seiner nicht ganz legalen Tätigkeit den Behörden zur Kenntnis gelangten – auch denen Dienste leistete, die sich um die öffentliche Sicherheit kümmerten. Denn manchmal war es nötig, um einen Verdächtigen rechtmäßig verurteilen zu lassen, wie er sich ausdrückte, den Richtern einen dokumentförmigen Beweis vorzulegen, um sie davon zu überzeugen, dass die Deduktionen der Polizei nicht aus der Luft gegriffen waren. So kam Simonini in Kontakt mit Personen ungewisser Identität, die manchmal in der Kanzlei erschienen und im Wortschatz des Notars als »die Herren vom Büro« figurierten. Was für ein Büro das war und wen es vertrat, war nicht schwer zu erraten: Es handelte sich um vertrauliche Angelegenheiten im Regierungsinteresse.
Einer dieser Herren war der Cavaliere Bianco, der sich eines Tages sehr zufrieden mit der Art zeigte, wie Simonini ein gewisses unwiderlegliches Dokument angefertigt hatte. Er musste einer sein, der, bevor er mit jemandem Kontakt aufnahm, sichere Informationen über ihn einholte, denn eines Tages zog er Simonini beiseite und fragte ihn, ob er noch das Caffè al Bicerin frequentiere, um ihn dorthin zu einer, wie er sagte, privaten Unterredung zu bitten. Und dort sagte er dann:
»Carissimo Avvocato, wir wissen sehr gut, dass Sie der Enkel eines der treuesten Untertanen Seiner Majestät sind und infolgedessen eine sehr gute Erziehung genossen haben. Wir wissen auch, dass Ihr Herr Vater mit dem Leben bezahlt hat für Dinge, die auch wir
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