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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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diesen ersten Junitagen erhielt ich ein Billet des Cavaliere Bianco, der mich bat, um Mitternacht selbigen Tages eine Kutsche zu erwarten, die mich am Eingang meiner Kanzlei abholen werde. Seltsame Verabredung, aber ich witterte ein interessantes Geschäft, und so wartete ich um Mitternacht, schwitzend wegen der Hundstagshitze, die in jenen Tagen auch Turin quälte, vor der Tür meines Büros. Es erschien eine geschlossene Kutsche mit verhängten Fenstern und einem mir unbekannten Herrn, der mich an einen mir unbekannten Ort brachte – nicht sehr weit vom Zentrum entfernt, schien mir, ja ich hatte sogar den Eindruck, dass die Kutsche zwei oder dreimal durch dieselben Straßen fuhr.
    Sie hielt im dunklen Hof eines alten, heruntergekommenen Wohnblocks, der eine einzige Wirrnis ramponierter Geländer war. Ich wurde durch eine schmale Tür und einen langen Korridor geführt, an dessen Ende eine weitere kleine Tür in das Vestibül eines Hauses von ganz anderer Qualität führte, in dem sich eine breite geschwungene Treppe erhob. Aber nicht die gingen wir hinauf, sondern eine kleine Treppe am Ende des Vestibüls, und die führte in ein Kabinett mit damastseidenen Tapeten, einem großen Porträt des Königs an der Rückwand und einem grünbezogenen Konferenztisch, an welchem vier Personen saßen, von denen einer der Cavaliere Bianco war, der mich den drei anderen vorstellte. Keiner gab mir die Hand, alle begnügten sich mit einem kurzen Kopfnicken.
    »Nehmen Sie Platz, Avvocato. Der Herr zu Ihrer Rechten ist General Negri di Saint Front, dieser zu Ihrer Linken der Avvocato Riccardi, und der Herr gegenüber ist Professor Boggio, Abgeordneter für den Wahlkreis Valenza Po.«
    Nach dem, was ich in den Bars und Cafés hatte raunen hören, erkannte ich in den beiden ersten Personen jene Chefs der Hohen Politischen Überwachung, die ( vox populi ) den Garibaldinern beim Kauf der beiden berühmten Schiffe geholfen hatten. Was den dritten betraf, so kannte ich seinen Namen: Er war Journalist, mit dreißig schon Juraprofessor geworden, Abgeordneter und immer in nächster Nähe Cavours. Er hatte ein gerötetes Gesicht, das ein zierlicher Schnurrbart schmückte, ein Monokel von der Größe eines Trinkglasbodens und die Miene des unschuldigsten Mannes der Welt. Aber die Ehrerbietung, mit der die drei anderen ihn behandelten, zeugte von seiner Macht in Regierungskreisen.
    Negri di Saint Front begann: »Caro Avvocato, in Kenntnis Ihrer Fähigkeiten beim Sammeln von Informationen sowie der Umsicht und Verschwiegenheit, mit der Sie diese einzusetzen verstehen, gedenken wir Sie mit einer sehr delikaten Mission in den soeben von General Garibaldi eroberten Gebieten zu betrauen. Machen Sie kein so besorgtes Gesicht, wir haben nicht vor, Sie zu beauftragen, die Rothemden zum Angriff zu führen. Es geht darum, dass Sie uns Nachrichten liefern. Doch damit Sie wissen, welche Art Nachrichten die Regierung interessieren, sehen wir uns genötigt, Ihnen Dinge anzuvertrauen, die ich nicht zögere, als Staatsgeheimnisse zu definieren, und so werden Sie verstehen, dass Sie von jetzt an bis zum Ende der Mission und darüber hinaus sehr viel Umsicht werden an den Tag legen müssen. Auch damit Sie… wie soll ich sagen… damit Sie sich Ihre persönliche Unversehrtheit bewahren, an der uns natürlich sehr viel liegt.«
    Diplomatischer konnte man es nicht sagen: Saint Front lag sehr viel an meiner persönlichen Unversehrtheit, und darum ließ er mich wissen, dass diese meine Unversehrtheit, wenn ich das, was ich nun gleich hören würde, herumerzählte, ernstlich gefährdet wäre. Doch seine umständliche Präambel ließ mich auch ahnen, dass die Höhe meiner Belohnung der Wichtigkeit dieser Mission entsprechen würde. Darum ermunterte ich ihn mit einem zustimmenden Kopfnicken, in seinen Darlegungen fortzufahren.
    »Niemand wird Ihnen die Lage besser erklären können als der Abgeordnete Boggio, auch weil er seine Informationen und seine Desiderata aus der höchsten Quelle bezieht, der er sehr nahe steht. Ich bitte Sie, Professore…«
    »Sehen Sie, Avvocato«, begann Boggio, »es gibt in Piemont niemanden, der größere Bewunderung als ich für jenen integren und großherzigen Mann hegt, der General Garibaldi ist. Was er in Sizilien vollbracht hat, mit einer Handvoll Tapferer gegen eine der bestbewaffneten Armeen Europas, ist mirakulös.«
    Dieser Einstieg genügte, um mich argwöhnen zu lassen, dass Boggio der schlimmste Feind Garibaldis war, aber ich

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