Die historischen Romane
hatte mir vorgenommen, schweigend zuzuhören.
»Gleichwohl«, fuhr Boggio fort, »wenn es auch wahr ist, dass Garibaldi die Diktatur über die eroberten Länder im Namen unseres Königs Vittorio Emanuele II. übernommen hat, kann derjenige, der hinter ihm steht, diese Entscheidung nicht billigen. Mazzini liegt ihm im Nacken mit seiner Forderung, dass die große Volkserhebung des Südens zur Republik führen müsse. Und wir kennen die große Überzeugungskraft dieses Mazzini, der still und geduldig im Ausland agierend schon so viele unbedachte Eiferer dazu gebracht hat, in den Tod zu gehen. Zu den nächsten Mitarbeitern des Generals gehören Crispi und Nicotera, Mazzinianer reinsten Wassers, die einen schlechten Einfluss ausüben auf einen Mann wie Garibaldi, der in seiner Güte unfähig ist, die Bosheit anderer zu erkennen. Genug, sagen wir es in aller Klarheit: Garibaldi wird in Bälde die Meerenge von Messina erreichen und nach Kalabrien übersetzen. Der Mann ist ein weitsichtiger Stratege, seine Freiwilligen sind Enthusiasten, viele Insulaner haben sich ihnen angeschlossen, man weiß nicht, ob aus Vaterlandsliebe oder aus Opportunismus, und viele bourbonische Generäle haben sich schon als so führungsunfähig erwiesen, dass einem der Verdacht kommt, sie könnten durch verborgene Zuwendungen von ihren militärischen Tugenden abgebracht worden sein. Wir müssen Ihnen nicht sagen, wen wir als Spender dieser Zuwendungen verdächtigen. Bestimmt nicht unsere Regierung. Sizilien ist jetzt in der Hand Garibaldis, und sollten bald auch Kalabrien und das Gebiet um Neapel in seine Hände fallen, so würde der General, unterstützt von den mazzinianischen Republikanern, über die Ressourcen eines Reiches von neun Millionen Einwohnern verfügen und, getragen von einem unwiderstehlichen Prestige beim Volk, stärker sein als unser König. Um diese Katastrophe zu vermeiden, bleibt unserem Souverän nur eines: mit unserem Heer in den Süden zu ziehen, dabei sicher nicht ohne Konflikte den Kirchenstaat zu durchqueren, um in Neapel einzutreffen, ehe Garibaldi dort eintrifft. Klar?«
»Klar. Aber ich sehe nicht, wie ich…«
»Warten Sie. Garibaldis Expedition war von Vaterlandsliebe geprägt, doch um einzugreifen und sie zu disziplinieren oder, besser gesagt, sie zu neutralisieren, müssten wir beweisen können, und zwar durch gut verbreitete Gerüchte und Zeitungsartikel, dass sie von zweifelhaften und korrupten Personen verunreinigt worden ist, so dass sich der piemontesische Eingriff als notwendig erwiesen hat.«
»Kurzum«, schaltete sich der Advokat Riccardi ein, der bisher noch nichts gesagt hatte, »wir brauchen das Vertrauen in Garibaldis Expedition nicht zu unterminieren, sondern nur das in die revolutionäre Verwaltung, die sich daraus ergeben hat. Graf Cavour ist im Begriff, La Farina nach Sizilien zu schicken, der ein großer sizilianischer Patriot ist, im Exil leben musste und daher Garibaldis Vertrauen genießen müsste, aber der zur gleichen Zeit auch ein vertrauter Mitarbeiter unserer Regierung geworden ist und eine Società Nazionale Italiana gegründet hat, die für den Anschluss des Reiches beider Sizilien an ein geeintes Italien eintritt. La Farina hat den Auftrag, Klarheit über einige sehr besorgniserregende Gerüchte zu schaffen, die uns zu Ohren gekommen sind. Es scheint, dass Garibaldi dort unten aus gutem Glauben und Inkompetenz im Begriff ist, eine Regierung zu installieren, die eine Karikatur, ja geradezu die Negation einer jeden Regierung wäre. Selbstverständlich kann der General nicht alles kontrollieren, seine Ehrlichkeit steht außer Zweifel, aber in wessen Händen lässt er die öffentlichen Angelegenheiten? Cavour erhofft sich von La Farina einen vollständigen Bericht über jede mögliche Unterschlagung, aber die Mazzinianer werden alles tun, um La Farina vom Volk fernzuhalten, jedenfalls von jenen Schichten der Bevölkerung, bei denen man am leichtesten plastische Auskünfte über Skandale einholen kann.«
»Und jedenfalls vertraut unser Büro diesem La Farina nur bis zu einem gewissen Grade«, warf Boggio ein. »Nicht um ihn zu kritisieren, Gott behüte, aber auch er ist ein Sizilianer, und die mögen ja brave Leute sein, aber sie sind anders als wir, finden Sie nicht? Sie werden einen Empfehlungsbrief für La Farina dabeihaben, und machen Sie ruhig Gebrauch davon, aber Sie werden sich mit größerer Freiheit bewegen, wir erwarten nicht, dass Sie bloß dokumentierte Daten sammeln, sondern
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