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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Presse- und Redefreiheit, der gesetzgebenden Versammlung und all jener Dinge, die immer von den Republikanern gefordert werden. Und das macht er so detailliert, so erkennbar auf unsere heutigen Tage bezogen, dass auch der einfältigste Leser merkt, dass dieses Buch unseren Kaiser diffamieren soll, indem es ihm die Absicht unterstellt, das Parlament zu neutralisieren, das Volk aufzufordern, die Macht des Präsidenten um zehn Jahre zu verlängern, die Republik in ein Kaiserreich zu verwandeln…«
    »Verzeihen Sie, Monsieur de Lagrange, wir reden hier ja vertraulich und Sie kennen meine Ergebenheit gegenüber der Regierung, aber nach dem, was Sie da sagen, kann ich nicht umhin festzustellen, dass dieser Joly auf Dinge anspielt, die der Kaiser tatsächlich getan hat, und ich sehe nicht, wieso man sich dann noch fragen muss, woher Joly seine Informationen hat…«
    »Aber in dem Buch wird nicht nur ironisch über das gesprochen, was die Regierung schon getan hat, sondern es enthält auch Andeutungen über das, was sie noch vorhaben könnte, als ob Joly gewisse Dinge nicht von außen sähe, sondern von innen. Sehen Sie, in jedem Ministerium, in jedem Regierungsgebäude gibt es immer ein sous-marin oder einen Maulwurf, der Nachrichten nach draußen gelangen lässt. Für gewöhnlich lässt man ihn leben, um durch ihn falsche Informationen zu verbreiten, an deren Verbreitung das Ministerium ein Interesse hat, aber manchmal wird er gefährlich. Wir müssen herausfinden, wer Joly informiert oder gar instruiert hat.«
    Simonini dachte im stillen, dass alle despotischen Regimes derselben Logik folgen, so dass man bloß den echten Machiavelli zu lesen bräuchte, um zu begreifen, was Louis Napoleon tun würde. Aber dieser Gedanke führte ihn dazu, sich etwas bewusst zu machen, was er schon während Lagranges Zusammenfassung des Buches undeutlich gespürt hatte: Dieser Joly ließ seinen Machiavelli-Napoleon fast dieselben Worte sagen, die er, Simonini, in seinem Dokument für den piemontesischen Geheimdienst den Jesuiten in den Mund gelegt hatte. Damit war klar, dass Joly aus derselben Quelle geschöpft haben musste wie Simonini, nämlich aus dem Brief von Pater Rodin an Pater Roothaan in Eugène Sues Geheimnissen von Paris .
    »Darum werden wir Sie«, fuhr Lagrange fort, »als einen mazzinianischen Emigranten, der verdächtigt wird, Beziehungen mit französischen Republikanern zu unterhalten, in Sainte-Pélagie einliefern. Einer der Häftlinge dort ist ein Italiener namens Gaviali, der mit dem Attentat von Orsini zu tun gehabt hat. Natürlich werden Sie versuchen, ihn zu kontaktieren, Sie als Garibaldiner, Carbonaro und wer weiß was noch alles. Durch Gaviali werden Sie Joly kennenlernen. Politische Häftlinge, die zwischen Ganoven und Strolchen aller Art isoliert sind, verstehen sich untereinander. Bringen Sie ihn zum reden, die Leute im Gefängnis langweilen sich so, und er wird sich Ihnen anvertrauen.«
    »Und wie lange werde ich in diesem Gefängnis sein?« fragte Simonini, besorgt wegen der Verpflegung.
    »Das wird von Ihnen abhängen. Je eher Sie etwas erfahren haben, desto eher sind Sie wieder draußen. Man wird Ihnen mitteilen, dass der Untersuchungsrichter Sie dank der Geschicklichkeit Ihres Verteidigers von allen Anklagen freigesprochen hat.«
     
    Die Gefängniserfahrung hatte Simonini bisher noch gefehlt. Sie war nicht angenehm, wegen der Ausdünstungen von Schweiß und Urin und der gänzlich ungenießbaren Suppen. Gott sei Dank war er in der Lage, wie andere wirtschaftlich gutsituierte Häftlinge, sich jeden Tag einen Korb mit essbaren Lebensmitteln bringen zu lassen.
    Vom Hof des Gefängnisses trat man in einen großen Raum mit einem Ofen in der Mitte und Bänken ringsum an den Wänden. Hier aßen gewöhnlich diejenigen, die ihr Essen von draußen geschickt bekamen. Manche beugten sich dabei über ihren Korb und hielten die Hände darüber, um den Inhalt vor den Blicken der anderen zu verbergen, andere zeigten sich großzügig, sowohl gegenüber Freunden wie auch gegenüber zufälligen Nachbarn. Simonini hatte bald herausgefunden, dass die großzügigsten einerseits die Gewohnheitsverbrecher waren, die ihr Metier zur Solidarität mit ihresgleichen erzogen hatte, und andererseits die politischen Häftlinge.
    In seinen Turiner Jahren, seiner Zeit in Sizilien und den ersten Jahren in den schmutzigsten Gassen von Paris hatte Simonini genügend Erfahrung gewonnen, um den geborenen Verbrecher zu erkennen. Er teilte nicht

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