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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Geschmack, den ich beim Erwachen im Munde verspürte, aber das tue ich, nachdem ich Ihre Aufzeichnungen gelesen habe, und die haben mich beeinflusst. Und wahrlich, wenn ich noch nie im Leben Absinth getrunken habe, wie kann ich dann wissen, dass es der Geschmack von Absinth ist, den ich im Munde verspürte? Es ist der Geschmack von etwas anderem, und Ihr Tagebuch hat mich dazu gebracht, es für Absinth zu halten.
    O lieber Herr Jesus, Tatsache ist, dass ich in meinem Bett aufgewacht bin und alles normal zu sein schien, als hätte ich den ganzen letzten Monat nichts anderes getan. Nur dass ich wusste, dass ich in Ihre Wohnung hinübergehen musste. Dort, das heißt hier, habe ich Ihre Tagebuchaufzeichnungen gelesen, die ich noch nicht kannte. Und als ich darin auf den Namen Boullan stieß, hat er mich dunkel an etwas erinnert, aber es blieb undeutlich und verschwommen.
    Ich habe mir den Namen laut wiederholt, ihn mehrere Male ausgesprochen, er hat mich schaudern lassen, die ganze Wirbelsäule hinunter, als ob Ihre beiden Doktoren Bourru und Burot eine magnetische Metallschiene irgendwo an meinen Körper angelegt hätten, oder als ob ein Doktor Charcot mir einen Finger vor den Augen hin- und herbewegt hätte oder, was weiß ich, einen Schlüssel, eine geöffnete Hand, um mich in einen luziden Somnabulismus zu versetzen.
    Ich sah etwas wie das Bild eines Priesters, der einer von Dämonen besessenen Frau in den Mund spuckte.

11. Joly 8
    Aus den Aufzeichnungen vom 3. April 1897,
    spätabends
     
    Der Tagebucheintrag von Dalla Piccola endet abrupt. Vielleicht hatte er ein Geräusch gehört, eine Tür, die unten aufging, und hat sich davongemacht. Offen gestanden ist auch der ERZÄHLER perplex. Denn es scheint fast, als erwache der Abbé Dalla Piccola immer nur dann, wenn Simonini eine Stimme des Gewissens benötigt, die seine Zerstreutheit anklagt und ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholt, um sonst jedoch eher selbstvergessen zu schweigen. Ja, offen gesagt, wenn auf diesen Seiten nicht unbezweifelbar wahre Dinge berichtet würden, könnte man meinen, dass es die Kunst des ERZÄHLERS sei, die diesen Wechsel von gedächtnisschwacher Euphorie und erinnerungsreicher Dysphorie so arrangiert.
     
    Im Frühjahr 1865 bestellte Lagrange Simonini eines Morgens zu einer Bank im Jardin du Luxembourg und zeigte ihm ein zerknittertes Buch mit vergilbtem Umschlag, das laut Impressum im Oktober 1864 in Brüssel erschienen war und ohne Angabe des Autors den Titel trug: Dialogue aux enfers entre Machiavel et Montesquieu ou la politique de Machiavel au XIXe siècle, par un contemporain .
    »Voilà«, sagte er, »das Buch eines gewissen Maurice Joly, der sich hier bloß »ein Zeitgenosse« nennt. Inzwischen wissen wir, wer das ist, aber es hat uns einige Mühe gekostet, ihn zu finden, während er Exemplare dieses im Ausland gedruckten Buches nach Frankreich einführte und heimlich unter die Leute brachte. Beziehungsweise, es war mühsam, aber nicht schwierig, denn viele derer, die politisches Material einschmuggeln, sind unsere Agenten. Sie müssen wissen, die einzige Art, eine subversive Sekte zu kontrollieren, ist, ihre Führung zu übernehmen oder zumindest ihre wichtigsten Anführer auf unseren Gehaltslisten zu haben. Denn die Pläne der Feinde entdeckt man nicht durch göttliche Eingebung. Jemand hat mal gesagt, vielleicht ein bisschen übertreibend, von zehn Mitgliedern einer Geheimorganisation seien drei unsere mouchards , verzeihen Sie den Ausdruck, aber vulgo nennt man sie so, sechs seien vertrauensselige Dummköpfe und einer sei gefährlich. Aber schweifen wir nicht ab. Dieser Joly sitzt jetzt im Gefängnis, in Sainte-Pélagie, und wir werden dafür sorgen, dass er möglichst lange dort bleibt. Aber wir wüssten gern, wo er seine Informationen her hat.«
    »Worum geht es denn in dem Buch?«
    »Ich gestehe Ihnen, ich habe es nicht gelesen, es sind über fünfhundert Seiten – ein Missgriff des Autors, denn ein diffamierendes Pamphlet muss sich in einer halben Stunde lesen lassen. Einer unserer Agenten, der auf diese Dinge spezialisiert ist, ein gewisser Lacroix, hat uns eine Zusammenfassung geliefert. Aber ich schenke Ihnen dieses einzige noch vorhandene Exemplar. Sie werden sehen, auf diesen Seiten wird angenommen, dass Machiavelli und Montesquieu einen Dialog in der Hölle führen, Machiavelli ist der Theoretiker einer zynischen Sicht der Macht und vertritt die Legitimität einer Reihe von Aktionen zur Abschaffung der

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