Die historischen Romane
einem seiner Agenten namens Krause, der unter dem falschen Namen Fleury operiere, als Doktor verkleidet in das Londoner Haus dieses Marx einzudringen und sich eine Liste mit den Namen aller Angehörigen des Bundes der Kommunisten zu beschaffen. Schöner Coup, der es erlaubt habe, viele gefährliche Individuen zu verhaften, schloss Lagrange. Unnötige Vorsicht, bemerkte ich, denn um sich so übertölpeln zu lassen, mussten diese Kommunisten schon ziemlich töricht gewesen sein und wären ohnehin nicht weit gekommen. Aber Lagrange meinte, das wisse man nie. Besser vorbeugen und bestrafen, ehe die Straftaten begangen werden.
»Ein guter Agent der Nachrichtendienste ist verloren, wenn er in etwas bereits Geschehenes eingreifen muss. Unser Metier ist, dafür zu sorgen, dass es früher geschieht. Wir geben nicht wenig Geld dafür aus, Tumulte auf den Boulevards zu organisieren. Dazu braucht man nicht viel, ein paar Dutzend entlassene Zuchthäusler und einige Polizisten in Zivil genügen, sie plündern drei Restaurants und zwei Bordelle, auf den Lippen die Marseillaise, zünden ein paar Zeitungskioske an, dann kommen die Unseren in Uniform und verhaften sie alle nach einem Anschein von Handgemenge.«
»Und wem nützt das?«
»Es nützt, um die guten Bürger in Sorge zu halten und alle davon zu überzeugen, dass eine starke Hand vonnöten ist. Müssten wir reale Tumulte unterdrücken, die von wer weiß wem organisiert sind, täten wir uns nicht so leicht. Aber zurück zu Stieber. Als er zum Chef der preußischen Geheimpolizei ernannt worden war, ging er – scheinbar zwangspensioniert – als Gaukler verkleidet durch die Dörfer in Böhmen, um alles zu notieren und ein Netz von Informanten längs des Weges aufzubauen, den später die preußische Armee von Berlin nach Prag nehmen sollte. Einen ähnlichen Dienst hat er auch in Frankreich aufgezogen – in Voraussicht auf einen Krieg, der früher oder später unvermeidbar sein wird.«
»Wäre es dann nicht besser, ich ginge diesem Mann aus dem Wege?«
»Nein. Wir müssen ihn im Auge behalten. Darum ist es besser, wenn die, die für ihn arbeiten, unsere Agenten sind. Im übrigen sollen Sie sich ja über eine Geschichte informieren, die nur die Juden betrifft und uns nicht interessiert. Also werden Sie unserer Regierung nicht schaden, wenn Sie mit Stieber zusammenarbeiten.«
Eine Woche später bekam ich ein Billet von diesem Polizeirat Stieber. Er fragte mich, ob es mir sehr unangenehm wäre, nach München zu fahren, um dort einen Mann seines Vertrauens zu treffen, einen gewissen Goedsche 13 , dem ich meinen Bericht übergeben könne. Sicher war mir das nicht gerade angenehm, aber mein Interesse an der zweiten Hälfte des Honorars war größer.
Ich fragte Lagrange, ob er diesen Goedsche kenne, und erfuhr von ihm, dass er Postbeamter gewesen war und unterderhand als Agent provocateur für die preußische Geheimpolizei gearbeitet hatte. Nach den Unruhen von 1848 hatte er, um einen Anführer der Demokraten zu diskriminieren, falsche Briefe produziert, aus denen hervorging, dass der Betreffende den König ermorden wolle. Doch wie man sieht, gibt es noch Richter in Berlin, denn jemand hatte dann bewiesen, dass diese Briefe gefälscht waren, Goedsche flog auf und musste den Postdienst verlassen. Aber damit nicht genug, die Sache hatte auch seine Glaubwürdigkeit in den Kreisen der Geheimdienste beschädigt, die zwar das Fälschen von Dokumenten verzeihen, aber nicht, wenn man sich dabei ertappen lässt. So begann er eine neue Karriere als Autor historischer Romane, die er unter dem Pseudonym »Sir John Retcliffe« veröffentlichte, sowie als Mitarbeiter der Kreuzzeitung , einem antijüdischen Hetzblatt in Preußen. Und die Dienste benutzten ihn nur noch zur Verbreitung von Nachrichten, ob falscher oder wahrer, über die Welt der Juden.
Er war also genau der Richtige für meinen Fall, sagte ich mir, aber Lagrange meinte, die Tatsache, dass bei dieser Geschichte auf Goedsche zurückgegriffen werde, zeige eher, dass mein Bericht den Preußen nicht viel bedeute, weshalb sie einen ihrer kleinen Handlanger beauftragt hätten, einen Blick darauf zu werfen, gleichsam zur Entlastung ihres Gewissens, und mich dann auszuzahlen.
»Das glaube ich nicht, den Deutschen liegt viel an meinem Bericht«, protestierte ich. »So viel, dass sie mir eine beträchtliche Summe dafür bezahlen wollen.«
»Wer hat Ihnen das versprochen?« fragte Lagrange, und als ich ihm Dimitri nannte,
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