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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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machen…
     
    Doch für heute höre ich lieber auf zu schreiben. Der Hass (oder auch nur die Erinnerung daran) verzerrt den Geist. Mir zittern die Hände. Ich muss schlafen, schlafen, schlafen.

13.
Dalla Piccola erkennt sich nicht wieder
    5. April 1897
     
    Heute morgen bin ich in meinem Bett aufgewacht, habe mich angezogen und mit jenem Minimum von Schminke zurechtgemacht, das meine Person erfordert. Dann bin ich hinübergegangen, um Ihr Tagebuch zu lesen, in dem Sie sagen, Sie seien einem Abbé Dalla Piccola begegnet, und ihn als jemanden beschreiben, der entschieden älter ist als ich und noch dazu einen Buckel hat. Ich bin in Ihr Schlafzimmer gegangen und habe mich in dem dort befindlichen Spiegel angesehen (in meiner Wohnung gibt es keinen, wie es sich für einen Ordensmann ziemt), und ohne mich in Eigenlob ergehen zu wollen, konnte ich nicht umhin festzustellen, dass ich regelmäßige Züge habe, weder bucklig bin noch schiele, noch vorstehende Zähne habe. Außerdem habe ich einen schönen französischen Akzent, allenfalls mit einer leichten italienischen Färbung.
    Wer also ist dann jener Abbé mit meinem Namen, den Sie getroffen haben wollen? Und wer, bitte, bin dann ich?

14.
Biarritz
    5. April 1897, vormittags
     
    Ich bin spät aufgewacht und habe in meinem Tagebuch Ihre kurze Notiz gefunden. Sie sind ein Frühaufsteher. Mein Gott, Monsieur l’Abbé – falls Sie diese Zeilen an einem der nächsten Tage lesen (oder in einer der nächsten Nächte): Wer sind Sie wirklich? Denn gerade jetzt erinnere ich mich, dass ich Sie umgebracht habe, noch vor dem Krieg! Wie kann ich zu einem Toten sprechen?
    Umgebracht habe ich Sie? Wieso bin ich mir da so sicher? Versuchen wir das zu rekonstruieren. Aber zuerst muss ich jetzt etwas essen. Seltsam, gestern konnte ich nicht ans Essen denken, ohne dass es mir übel wurde, und jetzt könnte ich alles verschlingen, was ich nur finde. Wenn ich dieses Haus unbehelligt verlassen könnte, würde ich zu einem Arzt gehen.
     
    Nachdem ich meinen Bericht über die Versammlung auf dem Friedhof in Prag fertig hatte, war ich bereit, mich mit Oberst Dimitri zu treffen. Im Gedenken an das Wohlwollen, das Brafmann der französischen Küche entgegengebracht hatte, lud ich auch ihn ins Rocher de Cancale ein, aber Dimitri schien nicht am Essen interessiert zu sein und kostete nur ein wenig von dem, was er bestellt hatte. Er hatte leicht schräge Augen mit kleinen, stechenden Pupillen, die mich an die Augen eines Marders denken ließen, obwohl ich noch nie einen Marder gesehen hatte (ich hasse Marder so, wie ich Juden hasse). Dimitri besaß, so schien mir, die einzigartige Fähigkeit, in seinem Gegenüber ein Gefühl von Unbehagen hervorzurufen.
    Er las meinen Bericht aufmerksam und sagte dann: »Sehr interessant. Wieviel?«
    Es macht Spaß, mit solch einem Mann zu verhandeln, und ich riskierte eine vielleicht exorbitante Zahl, 50000 Francs, unter Verweis auf die Auslagen für meine Informanten.
    »Zu teuer«, sagte Dimitri. »Oder besser: zu teuer für mich. Aber vielleicht können wir die Kosten teilen. Wir unterhalten gute Beziehungen zu den preußischen Diensten, und auch die haben ein jüdisches Problem. Ich bezahle Ihnen fünfundzwanzigtausend, in Gold, und autorisiere Sie, eine Kopie dieses Dokuments den Preußen zukommen zu lassen, von denen Sie dann die andere Hälfte bekommen. Ich werde mich darum kümmern, sie zu informieren. Natürlich werden sie das originale Dokument haben wollen, genauso original wie das, welches Sie mir gegeben haben, aber nach dem, was mein Freund Lagrange mir gesagt hat, haben Sie ja die Fähigkeit, die Originale zu vervielfältigen. Der Mann, der sich mit Ihnen in Kontakt setzen wird, heißt Stieber.«
    Weiter sagte er nichts. Er lehnte höflich ab, einen Cognac zu trinken, machte eine formelle Verbeugung, mehr deutsch als russisch, indem er den Kopf ruckartig fast im rechten Winkel zum aufrecht gehaltenen Körper neigte, und ging davon. Die Rechnung habe ich bezahlt.
     
    Ich bat um ein Treffen mit Lagrange, der mir diesen Stieber bereits genannt hatte. Er sei spezialisiert auf das Sammeln von Informationen im Ausland, erklärte Lagrange, aber er wisse sich auch in Sekten und Bewegungen einzuschleusen, die den ruhigen Gang der Staatsangelegenheiten zu stören trachteten. Vor gut zehn Jahren habe er wertvolles Material über diesen Marx gesammelt, der sowohl den Deutschen wie den Engländern Sorgen bereite. Anscheinend sei es ihm gelungen, ihm oder

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