Die historischen Romane
lächelte er: »Russen, Simonini, damit ist alles gesagt. Was kostet es einen Russen, Ihnen etwas im Namen der Deutschen zu versprechen? Aber fahren Sie trotzdem nach München, auch wir würden gerne wissen, was die dort planen. Und seien Sie sich immer bewusst, dass dieser Goedsche ein gewissenloser Schurke ist. Sonst würde er dieses Metier nicht ausüben.«
Man kann nicht sagen, dass Lagrange sehr nett zu mir war, aber vielleicht rechnete er zur Kategorie der Gewissenlosen auch die höheren Grade und mithin sich selbst. Aber wenn sie mich gut bezahlen, bin ich nicht nachtragend.
Ich glaube, ich habe in diesem Tagebuch schon den Eindruck beschrieben, den ich von jenen großen Münchner Bierlokalen hatte, in denen sich die Bayern an sehr langen tables d’hôtes Ellbogen an Ellbogen drängen, sich mit fettigen Würsten vollstopfen und mit Bier aus riesigen Maßkrügen vollaufen lassen, Männer und Frauen, die Frauen noch lachlustiger, lärmender und vulgärer als die Männer. Entschieden eine niedere Rasse, es hat mich einige Mühe gekostet nach der an sich schon überaus mühsamen Reise, nur jene zwei Tage in teutonischen Landen zu verbringen.
Genau in ein solches Bierlokal hatte mich Goedsche bestellt, und ich muss zugeben, mein deutscher Spion schien wie geboren zum Schnüffeln in diesem Ambiente: Seine unverschämt elegante Kleidung konnte den füchsischen Aspekt des von kleinen Aufträgen Lebenden nicht verbergen.
In schlechtem Französisch fragte er mich sofort nach meinen Quellen, ich blieb vage, lavierte, versuchte von anderen Dingen zu reden, verwies auf meine garibaldinischen Jugendsünden, was ihn angenehm überraschte, denn er schreibe gerade, sagte er, einen Roman über die italienischen Entwicklungen im Jahre 1860. Er sei fast fertig, der Roman werde unter dem Titel Biarritz erscheinen und mehrere Bände haben, aber nicht alle spielten in Italien, es gehe auch nach Sibirien und nach Warschau und eben nach Biarritz und so weiter. Er sprach gern und mit einer gewissen Anteilnahme über seinen Roman, es freue ihn besonders, auch die Sixtinische Kapelle darin unterzubringen. Ich verstand nicht ganz den Zusammenhang, aber es schien, dass der Kern der Geschichte die permanente Drohung dreier unheilvoller Kräfte war, die untergründig die Welt beherrschten, nämlich der Freimaurer, der Katholiken, insbesondere der Jesuiten, und der Juden, die sich auch unter die beiden ersten mischten, um die Fundamente der Reinheit der teutonisch-protestantischen Rasse zu untergraben.
Zuerst gehe es um die italienischen Machenschaften der mazzinianischen Freimaurer, dann verlagere sich die Geschichte nach Warschau, wo die Freimaurer gegen Russland konspirierten, zusammen mit den Nihilisten, einer verfluchten Rasse, wie sie die slawischen Völker zu allen Zeiten hervorgebracht hätten, auf beiden Seiten großenteils Juden – wichtig dabei ihr Rekrutierungssystem, das an jenes der Bayerischen Illuminaten und der Carbonari erinnere, jedes Mitglied rekrutiere neun andere, die sich untereinander nicht kennen dürfen… Danach gehe es zurück nach Italien, auf der Spur des Vormarsches der Piemontesen ins Königreich Neapel, mit einem Wirrwarr von Kränkungen, Verrat, Vergewaltigung adliger Damen, rocambolesken Reisen, todesmutigen irischen Legitimisten, alles Mantel und Degen, geheime Botschaften werden unter den Schwänzen der Pferde verborgen, ein böser carbonarischer Prinz Caracciolo vergewaltigt ein armes (irisch-legitimistisches) Mädchen, man entdeckt verräterische Ringe aus grün oxydiertem Gold mit umeinandergeschlungenen Schlangen und einer roten Koralle im Zentrum, es wird versucht, einen Sohn Napoleons III. zu entführen, dazwischen das Drama von Castelfidardo, wo das Blut der papsttreuen deutschen Truppen vergossen wurde, mit wütenden Ausfällen gegen die welsche Feigheit – das sagte Goedsche auf deutsch, vielleicht um mich nicht zu verletzen, aber soviel war mir noch von meinen Deutschstunden in Erinnerung, dass ich verstand: er meinte die typische Feigheit der lateinischen Rassen. Von nun an wurde die Geschichte immer verworrener, und wir waren noch nicht am Ende des ersten Bandes.
Je länger Goedsche erzählte, desto mehr glänzten seine Augen, die vage an Schweinsäuglein erinnerten, er fing langsam an zu sabbern, kicherte vor sich hin über Einfälle, die ihm exzellent vorkamen, und schien begierig auf Klatsch und Tratsch aus erster Hand über Cialdini, Lamarmora und die anderen piemontesischen
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