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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Konstantinopel an der Reihe: »Und vor allem jeglicher Handel, wozu gehören Spekulation und Verdienst, muss bleiben in unserer Hand. Er ist unser angeborenes Recht. Wir müssen uns sichern den Handel mit Spiritus, mit Öl, mit der Wolle und mit dem Getreide, dann haben wir in der Hand den Ackerbau und das Land.«
    Und Naphtali aus Prag ergänzte: »Auch alle Staatsämter müssen uns offenstehen. Die Justiz ist für uns von größter Bedeutung, ebenso die Advokatur. Sie passt zum Geist der Schläue und Zähigkeit unseres Volkes. Und warum soll nicht ein Jude auch Kultusminister werden, wo doch die Juden schon in mehr als einem Staat sind gewesen Finanzminister.«
    Schließlich sprach Rabbi Benjamin aus Toledo: »Wir dürfen in keinem Beruf fehlen, der in der Gesellschaft zählt: Philosophie, Medizin, Rechtswissenschaft, Musik, politische Ökonomie, mit einem Wort, alle Zweige der Wissenschaft, der Kunst und der Literatur sind ein weites Feld, auf dem wir uns trefflich bewähren können und unser Genie ins rechte Licht stellen müssen. Die Medizin vor allem! Ein Arzt dringt in die intimsten Geheimnisse der Familien ein, er hat das Leben und die Gesundheit der Christen in der Hand. Auch die Ehen zwischen Juden und Christen müssen wir fördern; das bisschen unreines Blut, das dabei in unseren von Gott auserwählten Stamm kommt, wird ihn nicht verderben, aber unsere Söhne und Töchter werden in die vornehmen und mächtigen Familien der Christen einheiraten können.«
    »Beschließen wir nun diese Versammlung«, sagte die dreizehnte Stimme. »Wenn das Gold die erste Macht der Welt ist, so ist die Presse die zweite. Unsere Leute müssen in allen Ländern die großen Tageszeitungen leiten. Wenn wir die Presse in der Hand haben, können wir die öffentliche Meinung lenken, die Ansichten über Ehre, Tugend, Recht und Unrecht in ihr Gegenteil verkehren und den ersten Angriff auf die Institution der Familie führen. Simulieren wir Interesse für die sozialen Fragen, die gerade anstehen. Wir müssen das Proletariat kontrollieren, unsere Agenten in die sozialen Bewegungen einschleusen und dafür sorgen, dass sie sich erheben, wenn wir es wollen, wir müssen die Arbeiter auf die Barrikaden treiben, zu Revolutionen anstacheln, und jede dieser Katastrophen wird uns unserem einzigen Ziel näherbringen: die Welt zu beherrschen, wie es einst unserem Stammvater Abraham versprochen war. Dann wird unsere Macht wachsen wie ein gigantischer Baum, dessen Zweige Früchte tragen, die da heißen Reichtum, Genuss, Glück und Macht, zum Ausgleich für die elende Lage, die so viele Jahrhunderte lang das einzige Los des Volkes Israel war.«
     
    So schloss, wenn ich mich recht entsinne, der Bericht vom Friedhof in Prag.
     
    Am Ende meiner Rekonstruktion fühle ich mich erschöpft – vielleicht weil ich diese Stunden atemlosen Schreibens mit einem Trankopfer begleitet habe, das mir physische Kraft und spirituelle Erregung gab. Dabei habe ich seit gestern keinen Appetit mehr, der bloße Gedanke ans Essen verursacht mir Übelkeit. Ich erwache und übergebe mich. Vielleicht arbeite ich zuviel. Oder mich würgt ein Hass, der mich verschlingt. Wenn ich aus zeitlichem Abstand die Seiten wiederlese, die ich über den Friedhof in Prag geschrieben habe, begreife ich, wie aus dieser Erfahrung, aus dieser so überzeugenden Rekonstruktion der jüdischen Verschwörung, aus dieser tiefen Abneigung, die zur Zeit meiner Kindheit und meiner Jugend nur… wie soll ich sagen… nur ideell war, nur im Kopf, wie die Stimme eines Katechismus, den mir der Großvater eingebleut hatte, nun etwas Handfestes aus Fleisch und Blut geworden war, und erst seit es mir gelungen war, diese schaurige Nacht noch einmal zum Leben zu erwecken, waren mein Groll, mein Neid auf die jüdische Perfidie von einer abstrakten Idee zu einer unbezähmbaren Leidenschaft geworden. Oh, wirklich, es musste erst diese Nacht auf dem Friedhof in Prag stattgefunden haben, bei Gott, oder zumindest musste ich meinen Bericht über dieses Ereignis erst wiederlesen, um zu begreifen, dass es nicht mehr zu ertragen ist, wie diese verfluchte Rasse unser Leben vergiftet!
    Erst als ich dieses Dokument gelesen und wiedergelesen hatte, verstand ich voll und ganz, dass mein Auftrag eine Mission war. Ich musste den Bericht unbedingt an irgendwen verkaufen, und zwar möglichst teuer, denn erst wenn interessierte Käufer ihn mit Gold aufgewogen hätten, würden sie ihn glauben und helfen, ihn glaubhaft zu

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