Die historischen Romane
verlegt, und so sind die Kloaken entstanden. Jetzt hat der Baron Haussmann endlich ein gutes Kanalisationssystem in Paris gebaut, aber es dient hauptsächlich dazu, das Wasser abfließen zu lassen, und die Exkremente gehen ihre eigenen Wege; wenn der Abfluss unter ihrem Abort nicht verstopft ist, fließen sie zu einem Graben, der nachts entleert wird, um sie in größere Auffangbecken zu leiten. Aber zur Zeit diskutiert man, ob es nicht besser wäre, endgültig das System des tout-à-l’égout anzunehmen, soll heißen, dass in den großen Kanälen nicht nur das Abwasser, sondern auch aller andere Unrat zusammenfließen soll. Deshalb verlangt ein Dekret seit mehr als zehn Jahren von den Hausbesitzern, ihre Häuser durch einen mindestens ein Meter dreißig breiten Tunnel mit dem nächsten Abwasserkanal zu verbinden. Solch einen Tunnel werden Sie dort unten finden, nur ist er noch enger und nicht so hoch, wie das Gesetz es vorschreibt. Tja, sehen Sie, so ist das eben, das wird vielleicht unter den großen Boulevards richtig gemacht, aber nicht hier in einer schmalen Sackgasse, wo sich kein Mensch um so was kümmert. Und niemand wird jemals herkommen, um zu kontrollieren, ob die Leute hier wirklich hinuntersteigen und ihre Abfälle dahin bringen, wohin sie sollen. Wenn es Ihnen schlecht wird bei der Vorstellung, dieses ganze Ekelzeug zu zermatschen, dann werfen Sie ihre Abfälle einfach diese Stufen da hinunter, im Vertrauen darauf, dass an Regentagen ein bisschen Wasser bis hierher gelangt und alles wegspült. Übrigens könnte dieser Zugang zu den Kloaken auch Vorteile haben. Wir leben in Zeiten, in denen alle zehn bis zwanzig Jahre in Paris eine Revolution oder ein Aufstand ausbricht, da kann ein unterirdischer Fluchtweg nie schaden. Wie alle Pariser werden Sie den vor kurzem erschienenen Roman Les Misérables gelesen haben, wo der Protagonist mit einem verletzten Freund durch die Kloaken entflieht, und so verstehen Sie, was ich meine.«
Als eifriger Leser der romans-feuilletons kannte ich die Geschichte von Victor Hugo natürlich gut. Ich wollte gewiss nicht die dort beschriebene Erfahrung selber machen, auch weil ich nicht weiß, ob ich es so lange da unten aushalten würde. Mag sein, dass in anderen Gegenden von Paris die unterirdischen Kanäle hinreichend hoch und breit sind, aber der, der unter der Place Maubert durchfloss, musste mehrere Jahrhunderte älter sein. Es war schon nicht leicht, Dalla Piccolas Leiche aus dem ersten Stock in den Laden und von dort in den Keller zu bringen, zum Glück war das Männlein ziemlich krumm und mager, so dass es sich gut tragen ließ. Aber um es die Stufen unter der Falltür hinunterzubringen, musste ich es hinunterrollen, dann stieg ich gebeugt hinterher und zog es noch ein paar Meter weiter, um es nicht direkt unter meinem Hause verwesen zu lassen. Mit einer Hand zog ich es am Fuß hinter mir her und mit der anderen hielt ich eine Lampe hoch – und leider hatte ich keine dritte Hand, um mir die Nase zuzuhalten.
Es war das erste Mal, dass ich die Leiche eines von mir Getöteten verschwinden lassen musste, denn bei Nievo und bei Ninuzzo hatte die Sache sich ohne mein Zutun erledigt (bei Ninuzzo hätte ich allerdings etwas tun sollen, jedenfalls das erste Mal). Jetzt im nachhinein mache ich mir bewusst, dass der schwierigste Teil bei einem Mord das Verbergen der Leiche ist, das muss wohl der Grund dafür sein, warum die Pfarrer davon abraten, jemanden zu töten, außer natürlich im Krieg, wo man die Toten für die Geier liegenlässt.
Ich schleppte meinen Toten noch gut zehn Meter weiter, und einen Abbé hinter sich her durch Exkremente zu schleifen, die nicht nur die eigenen sind, sondern von wer weiß wem stammen, ist keine angenehme Beschäftigung, schon gar nicht, wenn man sie dem eigenen Opfer erzählen muss – mein Gott, was schreibe ich da? Aber schließlich, nachdem ich auf diese Weise viel Kot zermatscht hatte, gewahrte ich in der Ferne einen Lichtstreifen, der mir anzeigte, dass es am Eingang der Impasse Maubert einen Schacht zur Straße geben musste.
Hatte ich anfangs noch vorgehabt, die Leiche bis zu einem größeren Kanal zu schleppen, um sie dort der Barmherzigkeit reichlicherer Wassermassen zu überlassen, so sagte ich mir später, dass diese Wassermassen sie wer weiß wohin spülen würden, womöglich in die Seine, so dass sie dann jemand noch würde identifizieren können. Eine richtige Überlegung, denn gerade dieser Tage habe ich in der Zeitung
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