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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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gelesen, dass in den großen Ausflussbecken unterhalb von Clichy vor kurzem innerhalb von sechs Monaten die Kadaver von viertausend Hunden, fünf Kälbern, zwanzig Hammeln, sieben Ziegen und sieben Schweinen, achtzig Hühnern, neunundsechzig Katzen, neunhundertfünfzig Kaninchen, einem Affen und einer Boa Constrictor gefunden worden sind. Die Statistik sagt nichts über Abbés, aber ich hätte dazu beitragen können, sie noch spektakulärer zu machen. Würde ich meinen Toten einfach hier liegenlassen, bestanden gute Chancen, dass er sich nicht fortbewegen würde. Zwischen der Mauer und dem eigentlichen Kanal – der sicher viel älter war als die des Barons Haussmann – verlief ein schmaler Fußweg, und dort ließ ich die Leiche liegen. Bei dem Gestank und der Feuchtigkeit würde sie sich bald zersetzt haben, dachte ich mir, und dann würden nur noch unidentifizierbare Knochen bleiben. Und außerdem, wenn ich die Natur der Impasse bedachte, konnte ich darauf vertrauen, dass sie keine Instandhaltung verdiente und daher nie jemand hier herunterkommen würde. Und selbst wenn doch und wenn man hier unten noch menschliche Reste finden würde, müsste man erst mal beweisen, dass sie aus meinem Haus kamen: Jeder beliebige hätte sie durch den Schacht von der Straße hierher bringen können.
    Ich kehrte zurück in mein Studio und schlug den Roman von Goedsche an der Stelle auf, wo Dalla Piccola ein Lesezeichen eingelegt hatte. Mein Deutsch war ein bisschen eingerostet, aber zum Verständnis der Fakten reichte es noch, wenn auch nicht mit allen Nuancen. Sicher, das war meine Rede des Rabbiners auf dem Friedhof in Prag, nur beschrieb Goedsche (dem man einen gewissen Sinn für Theatralik nicht absprechen konnte) den nächtlichen Friedhof noch ein bisschen dramatischer, zuerst ließ er einen Bankier namens Rosenberg auftreten, zusammen mit einem polnischen Rabbiner, der einen seidenen Kaftan trug und lange Locken an den Schläfen hatte, und um hineinzukommen, mussten sie dem Pförtner ein kabbalistisches Erkennungswort mit sieben Silben sagen.
    Dann erschien der, der im Original mein Informant war, eingeführt von einem gewissen Lasali, der ihm versprach, ihn an einer Begegnung teilhaben zu lassen, die nur alle hundert Jahre stattfand. Die beiden maskierten sich mit falschen Bärten, und dann lief das Ganze mehr oder weniger so ab, wie ich es geschildert hatte, einschließlich meiner Schlusszene mit dem bläulichen Licht auf dem Grabhügel und den weißen Schemen der Rabbiner, die sich von der Finsternis aufgeschluckt in die Nacht entfernten.
    Der Schamlose hatte meinen konzisen Bericht ausgenutzt, um melodramatische Szenen heraufzubeschwören. Er war zu allem bereit, um ein paar Taler zusammenzukratzen. Es gibt wirklich keine Religion mehr.
    Genau das, was die Juden wollten.
     
    Jetzt gehe ich schlafen. Ich bin von meinen mäßigen Trinkergewohnheiten abgewichen und habe nicht Wein, sondern unmäßige Mengen von Calvados getrunken (und unmäßig dreht sich mir jetzt der Kopf – ich fürchte, ich werde repetitiv). Doch da es scheint, als würde ich nur, wenn ich in einen tiefen traumlosen Schlaf versinke, als Abbé Dalla Piccola wieder erwachen, würde ich jetzt gerne sehen, wie ich in Gestalt eines Toten erwachen kann, für dessen Tod ich unbezweifelbar sowohl Ursache als auch Zeuge bin.

15.
Dalla Piccola redivivus
    6. April 1897, morgens
     
    Capitaine Simonini, ich weiß nicht, ob es während Ihres Schlafes war (mag er nun maßlos oder unmäßig gewesen sein), dass ich erwacht bin und Ihre Seiten gelesen habe. Im ersten Licht des grauenden Tages.
    Nachdem ich sie gelesen hatte, sagte ich mir, dass Sie vielleicht aus irgendeinem mysteriösen Grunde gelogen haben (hindert doch Ihr Leben, das Sie so ehrlich dargelegt haben, nicht an der Annahme, dass Sie bisweilen lügen). Wenn es jemanden gibt, der mit Sicherheit wissen müsste, dass Sie mich nicht umgebracht haben, dann doch wohl ich. Trotzdem wollte ich es kontrollieren.
    So habe ich mich meiner priesterlichen Kleider entledigt und bin fast nackt in den Keller hinuntergegangen. Dort habe ich die Falltür geöffnet, aber am Rand des mephitischen Tunnelganges, den Sie so eindrucksvoll schildern, hielt ich bestürzt über den Modergeruch inne. Ich fragte mich, was ich eigentlich kontrollieren wollte: ob sich da noch die wenigen Knochen einer Leiche befanden, die Sie vor mehr als fünfundzwanzig Jahren dort abgelegt haben wollen? Und musste ich mich erst in diese widerliche

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