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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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vernünftig geworden. Aber in letzter Zeit, seit er vom Heiligen Offizium nach zahlreichen Bußtaten definitiv die Absolution erteilt bekommen hat, ist er nach Paris zurückgekehrt und hat wieder angefangen, seine Thesen über die Wiedergutmachung der Sünden anderer durch Kultivierung eigener zu vertreten, und wenn jetzt alle wieder anfangen würden, so zu denken, würde der Fall bald wieder aufhören, bloß ein religiöser zu sein, und wieder ein politischer werden, Sie verstehen sicher, was ich meine. Im übrigen hat auch die Kirche wieder angefangen, sich Sorgen zu machen, und kürzlich hat der Erzbischof von Paris dem Abbé Boullan untersagt, kirchliche Ämter auszuüben, was auch höchste Zeit war, wenn Sie mich fragen. Daraufhin hat Boullan sich, als einzige Antwort, umgehend mit einem anderen häresieverdächtigen Betbruder, einem gewissen Vintras, in Verbindung gesetzt. Hier in diesem kleinen Dossier finden Sie alles, was Sie über ihn wissen müssen, oder zumindest, was wir über ihn wissen. Alles weitere ist Ihre Sache, behalten Sie ihn im Auge und lassen Sie uns wissen, was er ausheckt.«
    »Ich bin aber keine fromme Dame auf der Suche nach einem Beichtvater, der sie missbraucht. Wie soll ich an ihn herankommen?«
    »Was weiß ich, verkleiden Sie sich womöglich als Priester. Soweit ich weiß, haben Sie es doch sogar schon geschafft, sich als garibaldinischer General oder so was zu verkleiden.«
     
    Voilà, cher Monsieur l’Abbé, das war’s, was mir eben eingefallen ist. Aber mit Ihnen hat es nichts zu tun.

16.
Boullan
    8. April 1897
     
    Capitaine Simonini, als ich heute nacht Ihre erboste Eintragung las, habe ich beschlossen, Ihrem Beispiel zu folgen und mich ans Schreiben zu machen, auch ohne zuvor meinen Bauchnabel angestarrt zu haben, eher fast automatisch, indem ich meinen Körper durch das Werk meiner Hand entscheiden lasse, sich an das zu erinnern, was meine Seele vergessen hatte. Ihr Doktor Froïde war kein Dummkopf.
     
    Boullan… Ich sehe uns vor einer Kirche am Rande von Paris auf und ab gehen. Oder war es in Sèvres? Ich entsinne mich seiner Worte: »Die Sünden wiedergutzumachen, die gegen unseren Herrn im Himmel begangen werden, heißt auch, sie auf sich nehmen. Das Sündigen kann eine mystische Bürde sein, zumal wenn man es so intensiv wie möglich betreibt, um das volle Maß der Bosheiten auszuschöpfen, die Satan der Menschheit abverlangt, und unsere schwächsten Brüder davon zu befreien, die ja allein nicht imstande sind, die bösen Kräfte zu exorzieren, die uns versklavt haben. Haben Sie schon einmal dieses Fliegenpapier gesehen, das gerade in Deutschland erfunden worden ist? Es wird in den Konditoreien benutzt, man tränkt ein Papierband mit Melasse und hängt es über die Torten im Schaufenster. Die Fliegen werden von der Melasse angezogen, bleiben auf dem Band kleben und sterben an Erschöpfung oder ertrinken, wenn man das von Insekten wimmelnde Band in einen Kanal wirft. Sehen Sie, und der gläubige Sündenwiedergutmacher muss wie dieses Fliegenpapier sein: Er muss alle Schmach und Schande auf sich ziehen, um dann ihr reinigender Schmelztiegel zu werden.«
    Ich sehe ihn vor mir in einer Kirche, wo er vor dem Altar eine fromme Sünderin »reinigen« muss, die vom Dämon besessen ist und sich am Boden wälzt und scheußliche Flüche ausstößt und die Namen der Dämonen anruft: Abigor, Abracas, Adramelech, Haborym, Melchom, Stolas, Zaebos…
    Boullan trägt Messgewänder in violetter Farbe mit einem roten Chorhemd, er beugt sich über sie und spricht etwas, das wie eine Exorzismusformel klingt, aber (wenn ich recht gehört habe) verkehrt herum: Crux sacra non sit mihi lux, sed draco sit mihi dux, veni Satanas, veni! Dann beugt er sich über die Büßende und spuckt ihr dreimal in den Mund, danach streift er sich das Gewand ab und uriniert in einen Messkelch und bietet ihn der Unglücklichen an. Jetzt holt er aus einem Gefäß (mit den Händen!) eine Substanz, die offensichtlich fäkalen Ursprungs ist, und schmiert sie auf die inzwischen entblößte Brust der von Dämonen Besessenen.
    Die Ärmste wälzt sich keuchend am Boden, stößt kurze Schreie aus, die langsam ersterben, bis sie in einen quasi hypnotischen Schlaf sinkt.
    Boullan geht in die Sakristei, wo er sich oberflächlich die Hände wäscht. Dann tritt er mit mir auf den Vorplatz hinaus, ächzend, als habe er gerade eine schwere Pflicht erfüllt. Consummatum est , sagt er feierlich.
    Ich entsinne mich, ihm gesagt

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