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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Barrikade vertrieben worden. Doch eine Handvoll betrunkener brassardiers , die offenbar die Eroberung des Louvre feierten, versuchte den Mann aus den Armen der Frau zu reißen, die sich weinend an ihn klammerte, bis schließlich die brassardiers alle drei an die Wand stießen und sie mit Schüssen durchsiebten.
    Ich machte, dass ich schnell zu den Wachposten der regulären Truppen kam, die ich mit Hilfe meiner Losung passierte, und wurde in einen Raum geführt, in dem einige Leute Nadeln mit bunten Köpfen in einen großen Stadtplan von Paris steckten. Lagrange war nicht zu sehen, und ich fragte nach ihm. Ein Herr mittleren Alters mit einem übertrieben normalen Gesicht (soll heißen, wenn ich es beschreiben müsste, wüsste ich keinen besonderen Zug zu nennen) drehte sich zu mir um und begrüßte mich höflich, ohne mir die Hand zu reichen.
     
     
     
    »Capitaine Simonini, nehme ich an. Mein Name ist Hébuterne. Von jetzt an werden Sie alles, was Sie mit Monsieur de Lagrange getan haben, mit mir tun. Sie verstehen, auch die staatlichen Sicherheitsdienste müssen sich hin und wieder erneuern, besonders nach einem Krieg. Monsieur de Lagrange hat sich eine honorable Pension verdient, vielleicht sitzt er gerade an einem lauschigen Bach und angelt, weitab von dieser unangenehmen Konfusion hier.«
    Es war nicht der Zeitpunkt, Fragen zu stellen. Ich berichtete ihm von dem unterirdischen Gang, der unter der Rue d’Assas zum Carrefour de la Croix-Rouge führte, und Hébuterne sagte, es sei höchste Zeit, eine Operation an jener Kreuzung durchzuführen, denn ihm sei schon gemeldet worden, dass die Kommunarden dort viele Truppen zusammenzögen, weil sie die Ankunft der Regierungstruppen aus dem Süden erwarteten. Daher solle ich mich umgehend zu dem Weinhändler in Montparnasse begeben, dessen Adresse ich ihm genannt hatte, und dort auf einen Trupp brassardiers warten.
    Ich trat auf die Straße und überlegte mir gerade, dass ich ohne Eile von der Seine nach Montparnasse gehen könnte, um Hébuternes Boten Zeit zu lassen, vor mir dort einzutreffen, da sah ich, noch am rechten Ufer, auf einem Bürgersteig aufgereiht die Leichen von etwa zwanzig Erschossenen liegen. Sie mussten vor kurzem gestorben sein und schienen verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen anzugehören. Da lag ein junger Mann mit den typischen Merkmalen eines Proletariers, der Mund halboffen, neben einem Bürger mittleren Alters mit gekräuseltem Haar und gepflegtem Schnurrbart, die Hände über einem nur leicht zerknitterten Gehrock gefaltet; daneben einer mit dem Gesicht eines Künstlers, ein weiterer mit fast unkenntlichen Zügen, einem schwarzen Loch anstelle des linken Auges und einem Handtuch um den Kopf gebunden, als hätte eine barmherzige Seele oder ein erbarmungsloser Ordnungsfreund diesen von wer weiß wie vielen Kugeln zerschossenen Kopf zusammenhalten wollen. Und da lag auch eine Frau, die vielleicht schön gewesen war.
    Sie lagen dort in der Maisonne, umschwirrt von den ersten Fliegen der Saison, die jenes Festmahl angelockt hatte. Sie wirkten, als wären sie fast zufällig gefasst und erschossen worden, nur um jemandem ein Exempel zu statuieren, und sie waren auf dem Gehweg aufgereiht, um die Straße freizumachen, auf der in diesem Moment ein Trupp Regierungssoldaten mit einer großen Kanone vorbeizog. Was mich frappierte an diesen Gesichtern, war, es fällt mir schwer, das zu schreiben, ihre Unbekümmertheit : Sie schienen das Los, das sie gemeinsam ereilt und vereint hatte, gleichsam schlafend zu akzeptieren.
    Als ich ans Ende der Reihe gelangte, überraschte mich das Gesicht des letzten Hingerichteten, der ein bisschen getrennt von den anderen lag, als wäre er erst später dazugelegt worden. Das Gesicht war zum Teil mit geronnenem Blut bedeckt, aber ich erkannte ganz deutlich Lagrange. Die Dienste hatten angefangen, sich zu erneuern.
    Ich habe nicht die sensible Seele einer Betschwester, ich bin sogar imstande gewesen, die Leiche eines Abbé in die Kloaken hinunterzuschleppen, aber dieser Anblick verstörte mich. Nicht aus Mitleid, sondern weil er mir deutlich machte, dass so etwas auch mir widerfahren könnte. Es würde genügen, dass ich auf dem Weg von hier bis nach Montaparnasse jemandem begegnete, der mich als Zuträger von Lagrange erkannte, und das Schöne war, dass er sowohl ein Versailler als auch ein Kommunarde sein könnte, beide hätten Grund gehabt, mir zu misstrauen, und jemandem zu misstrauen hieß in

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