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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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diesen Tagen, ihn zu erschießen.
    Ausgehend von der Überlegung, dass dort, wo noch Gebäude in Flammen standen, wahrscheinlich keine Kommunarden mehr waren und die Regierungstruppen noch nicht alles überwachten, wagte ich mich über die Seine ans linke Ufer, um durch die ganze Rue du Bac zu gehen und den Carrefour de la Croix-Rouge an der Oberfläche zu erreichen. Dort würde ich sofort in dem verlassenen Magazin verschwinden und den Rest des Weges unterirdisch zurücklegen.
    Ich fürchtete zwar, dass mich die Verteidigungsanlagen der Kommunarden am Carrefour de la Croix-Rouge daran hindern könnten, das gesuchte Haus zu erreichen, aber das war nicht der Fall. Gruppen von Bewaffneten warteten in den Torbögen einiger Häuser auf Befehle, widersprüchliche Gerüchte gingen von Mund zu Mund, man wusste nicht, von welcher Seite die Regierungstruppen kommen würden, da und dort wurden kleine Barrikaden müde errichtet und wieder eingerissen, je nachdem, welche Gerüchte man hörte und welche Seitengasse man verbarrikadieren wollte. Es erschien ein größerer Trupp Nationalgardisten, und viele Bewohner der Häuser dieses gutbürgerlichen Viertels redeten auf die Bewaffneten ein, sie sollten doch bitte keine unnötigen Heldentaten versuchen, die Männer von Versailles seien schließlich immer noch Landsleute und überdies Republikaner, außerdem habe Thiers allen Kommunarden, die sich ergeben würden, die Amnestie versprochen…
    Ich fand das Tor des gesuchten Hauses halb offen, trat ein und schloss es gut hinter mir zu, stieg in das Magazin hinunter und von dort in den unterirdischen Gang und erreichte wohlbehalten die Weinhandlung in Montparnasse. Dort erwarteten mich etwa dreißig brassardiers , die mir durch den Gang zurück folgten. In dem Magazin am Carrefour de la Croix-Rouge angelangt, stiegen die Männer zu einigen Wohnungen in den oberen Stockwerken hinauf, um die Bewohner einzuschüchtern, aber sie fanden dort gutgekleidete Personen, die sie freudig begrüßten und ihnen die Fenster zeigten, von denen aus die Kreuzung am besten zu übersehen war. Auf dieser erschien gerade aus der Rue du Dragon ein berittener Offizier mit einer Eilorder. Sie lautete offenbar, sich auf einen Angriff aus der Rue de Sèvres oder der Rue du Cherche-Midi vorzubereiten, denn an der Ecke der beiden Straßen fingen die Kommunarden an, das Pflaster aufzureißen, um eine neue Barrikade zu bauen.
    Während die brassardiers sich an die Fenster der besetzten Wohnungen verteilten, zog ich es vor, nicht länger an einem Ort zu verweilen, wo bald die Kugeln der Kommunarden pfeifen würden, und ging hinunter. Auf der Kreuzung herrschte noch großes Durcheinander. Da ich wusste, welche Flugbahn die Geschosse aus den Fenstern des eben verlassenen Gebäudes haben würden, postierte ich mich an die Ecke der Rue du Vieux-Colombier, um mich notfalls rasch verdrücken zu können.
    Der größte Teil der Kommunarden hatte, um besser arbeiten zu können, die Waffen beiseite gelegt, und so trafen die ersten Schüsse, die aus den Fenstern kamen, sie überraschend. Dann fassten sie sich wieder, aber sie hatten noch nicht begriffen, woher die Schüsse kamen, und fingen an, waagerecht in die Einmündungen der Rue de Grenelle und der Rue du Four zu schießen, so dass ich zurückweichen musste, weil ich fürchtete, sie könnten auch die Rue du Vieux-Colombier unter Feuer nehmen. Endlich bemerkte jemand, dass die Feinde von oben schossen, und es entspann sich ein heftiger Schusswechsel vom Carrefour zu den Fenstern der Häuser und umgekehrt, nur dass die Regierungssoldaten besser sahen, auf wen sie schossen, und einfach draufhielten, während die Kommunarden noch nicht begriffen, auf welche Fenster genau sie zielen mussten. Kurzum, es war ein leicht errungenes Massaker, während die unten auf der Kreuzung »Verrat!« schrien. Aber so ist es immer: Wenn man mit etwas scheitert, sucht man nach jemandem, dem man die eigene Unfähigkeit in die Schuhe schieben kann. Was heißt denn Verrat, ihr könnt eben einfach nicht kämpfen, und so was will Revolution machen!
    Endlich hatte jemand das von den brassardiers besetzte Haus erkannt, und die Überlebenden versuchten, das Tor einzudrücken. Ich nahm an, dass die Besatzer inzwischen schon wieder in die Unterwelt abgestiegen waren und die Kommunarden das Haus leer fanden, aber ich hatte beschlossen, nicht länger zu bleiben und das weitere abzuwarten. Wie ich später erfuhr, waren die Regierungssoldaten tatsächlich

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