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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Anführer einmal mehr Gelegenheit zu brillieren.
    Überall wurden Barrikaden errichtet, unter Mithilfe einer sichtlich enthusiastischen Bevölkerung, auch in Vierteln, die der Kommune feindlich gesinnt waren, wie dem der Oper und dem des Faubourg Saint-Germain, wo die Nationalgarden hochelegante Damen in den Häusern aufscheuchten und sie antrieben, ihre kostbarsten Möbel auf den Straßen anzuhäufen. Man spannte ein Seil quer über die Straße, um den Verlauf der Barrikade zu bezeichnen, und jeder eilte herbei, um einen herausgerissenen Pflasterstein oder einen Sandsack zu bringen; aus den Fenstern wurde Stühle, Kommoden, Bänke und Matratzen geworfen, mal mit Zustimmung der Bewohner, mal während sich die Bewohner heulend im letzten Zimmer einer nun leeren Wohnung zusammendrängten.
    Ein Offizier deutete auf seinen fleißig arbeitetenden Trupp und forderte mich auf: »Vorwärts, Bürger, legen auch Sie mit Hand an, es ist auch Ihre Freiheit, für die wir zu sterben bereit sind!«
    Ich tat, als gäbe ich mir einen Ruck, ging scheinbar einen Hocker holen, der am Ende der Straße aus einem Fenster gefallen war, und verdrückte mich um die Ecke.
    Seit mindestens einem Jahrhundert macht es den Parisern Spaß, Barrikaden zu bauen, und dass die dann beim ersten Kanonenschuss zusammenbrechen, scheint sie nicht weiter zu stören: Barrikaden baut man, um sich als Held zu fühlen, aber ich möchte sehen, wie viele von diesen Helden bis zuletzt auf ihren Barrikaden ausharren. Sie machen es wie ich, und nur die Dümmsten verteidigen die Barrikaden und werden dann standrechtlich erschossen.
     
    Nur von einem Fesselballon aus hätte man erkennen können, wie sich die Dinge in Paris entwickelten. Einige Stimmen sagten, die École Militaire sei besetzt worden, wo die Kanonen der Nationalgarde untergebracht worden waren, andere berichteten von Kämpfen an der Place Clichy, wieder andere wollten wissen, dass die Deutschen den Regierungstruppen den Zugang im Norden gestattet hätten. Am Dienstag wurde Montmartre erobert, und vierzig Männer, drei Frauen und vier Kinder wurden an den Ort gebracht, wo die Kommunarden im März die Generäle Lecomte und Thomas erschossen hatten, wurden auf die Knie gezwungen und ihrerseits erschossen.
    Am Mittwoch sah ich viele öffentliche Gebäude in Flammen stehen, darunter den Tuilerien-Palast, jemand sagte, sie seien von den Kommunarden in Brand gesteckt worden, um den Vormarsch der Regierungstruppen aufzuhalten, und es gebe sogar vom Satan besessene Jakobinerinnen, die pétroleuses , die mit Eimern voller Öl herumliefen, um die Brände zu beschleunigen, andere schworen darauf, dass es die Haubitzen der Regierungstruppen waren, und wieder andere gaben die Schuld einstigen Bonapartisten, die die Gelegenheit nutzten, um kompromittierende Archive zu vernichten – und im ersten Moment dachte ich, wenn ich an Lagranges Stelle wäre, würde ich auch so handeln, aber dann sagte ich mir, dass ein guter Geheimdienstagent seine Informationen verbirgt, aber niemals vernichtet, denn sie können ihm immer noch dazu nützen, jemanden zu erpressen.
    Von einem äußersten Skrupel getrieben, aber voll großer Furcht, mich im Zentrum eines Zusammenstoßes wiederzufinden, begab ich mich ein letztes Mal zu der Taubenstation, wo ich eine Nachricht von Lagrange fand. Er teilte mir mit, es sei nun nicht mehr nötig, per Brieftauben zu kommunizieren, und gab mir eine Adresse am Louvre, der inzwischen besetzt worden war, sowie ein Losungswort, um die Wachposten der Regierungstruppen zu passieren.
    Genau zu der Zeit erfuhr ich, dass die Regierungstruppen nach Montparnasse gelangt waren, und erinnerte mich, dass mir in Montparnasse der Keller einer Weinhandlung gezeigt worden war, durch den man in einen unterirdischen Gang gelangte, der die ganze Rue d’Assas entlang bis zur Rue du Cherche-Midi führte und unter einem verlassenen Magazin am Carrefour de la Croix-Rouge endete, einer Kreuzung, die noch fest in der Hand der Kommunarden war. Da meine unterirdischen Recherchen bisher noch zu nichts genutzt hatten und ich etwas tun musste, um meinen Lohn zu verdienen, ging ich zu Lagrange.
    Es war nicht schwer, von der Île de la Cité zum Louvre hinüberzugehen, aber hinter der Kirche Saint-Germain-l’Auxerrois sah ich eine Szene, die mich, ich gestehe es, ein bisschen beeindruckt hat. Ein Mann und eine Frau mit einem Kind kamen daher, und sie sahen bestimmt nicht so aus, als wären sie gerade von einer zusammengestürzten

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