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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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jüdischen Rasse zerstört werden.«
     
    Am Ende dieser Fahrt durch ein menschenleeres Paris machte Osman-Bey mir einen Vorschlag.
    »Capitaine, was Sie mir angeboten haben, ist sehr wenig. Sie können nicht erwarten, dass ich Ihnen interessante Informationen über die Alliance gebe, über die ich bald alles wissen werde. Aber ich schlage Ihnen einen Pakt vor: Ich kann die Juden der Alliance überwachen, aber nicht die Freimaurer. Da ich aus dem mystischen und orthodoxen Russland komme, ohne besondere Bekanntschaften im ökonomischen und intellektuellen Leben dieser Stadt zu haben, kann ich mich bei den Freimaurern nicht einschleichen. Die nehmen Leute wie Sie, gutsituierte Bürger mit Uhr in der Westentasche. Es dürfte nicht schwer für Sie sein, in diese Kreise einzudringen. Ich habe gehört, dass Sie sich der Teilnahme an einer Unternehmung von Garibaldi rühmen, einem Freimaurer reinsten Wassers, wenn es je einen gab. Also: Sie berichten mir über die Freimaurer und ich berichte Ihnen über die Alliance.«
    »Mündliche Vereinbarung und basta?«
    »Unter Gentlemen braucht man dergleichen nicht schriftlich festzuhalten.«

20.
Russen?
    12. April 1897, neun Uhr morgens
     
    Lieber Abbé, wir sind definitiv zwei verschiedene Personen. Jetzt habe ich den Beweis.
    Heute morgen, es mag um acht gewesen sein, bin ich aufgewacht (und zwar in meinem Bett) und bin noch im Nachthemd in mein Studio hinübergegangen, und da sah ich eine schwarze Gestalt die Treppe hinunterhuschen. Ein rascher Blick lehrte mich, dass jemand meine Papiere durchwühlt hatte, ich schnappte mir meinen Dolchstock, der sich zum Glück in Reichweite befand, und eilte hinunter in den Laden. Ich konnte gerade noch sehen, wie ein dunkler Schatten gleich einem Unglücksraben auf die Straße entwich. Ich folgte ihm und – sei es pures Unglück, sei es, dass der ungelegene Besucher seine Flucht vorbereitet hatte – ich stolperte über einen Hocker, der dort nicht hätte stehen sollen.
    Mit gezücktem Stock hinkte ich in die Sackgasse – aber ach, weder rechts noch links war jemand zu sehen. Mein Besucher war geflohen. Doch ich könnte schwören, das waren Sie. Zumal Ihr Bett leer war, als ich in Ihrer Wohnung nachsehen ging.
     
    12. April, mittags
    Capitaine Simonini,
    ich antworte auf Ihre Worte, nachdem ich soeben aufgewacht bin (in meinem Bett). Ich schwöre Ihnen, ich konnte heute morgen gar nicht bei Ihnen gewesen sein, denn um diese Zeit habe ich noch geschlafen. Doch sobald ich aufgestanden war, und das mag um elf gewesen sein, erschrak ich über die Gestalt eines Mannes (sicherlich waren Sie das), der durch den Korridor mit den Theaterkostümen entfloh. Noch im Nachthemd verfolgte ich Sie bis in Ihre Wohnung, sah Sie wie ein Gespenst in Ihren wüsten Trödlerladen hinunterstürzen und durch die Tür entschwinden. Auch ich stolperte über den Hocker, und als ich auf die Impasse Maubert hinaustrat, war von dem Betreffenden keine Spur mehr zu sehen. Aber das waren Sie, das könnte ich schwören, sagen Sie mir, ob ich es erraten habe, ich bitte Sie…
     
    12. April, früher Nachmittag
    Lieber Abbé,
    was geht mit mir vor? Offenbar geht es mir schlecht, es ist, als fiele ich manchmal in Ohnmacht, und wenn ich dann wieder zu mir komme, finde ich mein Tagebuch durch Ihren Eingriff verändert. Sind wir ein und dieselbe Person? Überlegen Sie einen Moment, im Namen des gesunden Menschenverstandes, wenn nicht der logischen Vernunft: Wenn unsere zwei Begegnungen beide zur selben Zeit stattgefunden hätten, wäre doch anzunehmen, dass ich auf der einen Seite und Sie auf der anderen waren. Doch wir haben unsere Erfahrungen zu verschiedenen Zeiten gemacht. Wenn ich in die Wohnung komme und sehe jemanden weglaufen, bin ich doch sicher, dass dieser Jemand nicht ich bin. Aber dass der andere notwendigerweise Sie sind, beruht auf der wenig begründeten Überzeugung, dass heute morgen in diesem Hause nur wir beide waren.
    Wenn aber nur wir beide da waren, ergibt sich ein Paradox: Sie wären morgens um acht gekommen, um in meinen Sachen zu kramen, und ich hätte Sie verfolgt. Dann wäre ich um elf hingegangen, um in Ihren Sachen zu kramen, und Sie hätten mich verfolgt. Aber warum erinnert sich dann jeder von uns an die Uhrzeit und den Moment, in dem jemand in seine Wohnung eingedrungen ist, aber nicht an die Uhrzeit und den Moment, in dem er selbst in die Wohnung des anderen eingedrungen ist?
    Natürlich könnten wir beide diesen Moment vergessen haben oder

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