Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
noch mehr Nachrichten, denn er lebt von antijüdischen Kampagnen. Es heißt, die russische Geheimpolizei habe ihm vierhundert Rubel dafür gegeben, dass er nach Paris kommt, um hier die Alliance Israélite Universelle zu untersuchen, und über die hattest du doch einiges von deinem Freund Brafmann erfahren, wenn ich mich recht erinnere.«
    »Sehr wenig, um die Wahrheit zu sagen.«
    »Dann erfinde halt. Du gibst diesem Bey etwas, und er wird dir etwas geben.«
    »Wie finde ich ihn?«
    »Er wird dich finden.«
    Ich arbeitete kaum noch für Hébuterne, stand aber noch lose mit ihm in Verbindung. Wir trafen uns auf dem Platz vor Notre-Dame, und ich fragte ihn nach Details über Osman-Bey. Offenbar war er den Polizeien der halben Welt bekannt.
    »Er ist vielleicht jüdischer Herkunft, wie Brafmann und andere geschworene Feinde ihrer Rasse. Er hat eine lange Geschichte hinter sich, er trat unter den Namen Millinger oder Millingen auf, später auch als Kibridli-Zade, und vor einiger Zeit gab er sich als Albaner aus. Viele Länder haben ihn ausgewiesen, wegen dunkler Affären, meistens Betrug; in anderen Ländern saß er im Gefängnis. Er hat sich auf die Juden verlegt, weil er ahnte, dass es sich auszahlen würde. In Mailand hat er einmal, ich weiß nicht mehr, bei welcher Gelegenheit, öffentlich alles widerrufen, was er über die Juden verbreitet hatte, danach veröffentlichte er in der Schweiz neue antijüdische Schriften und fuhr nach Alexandria, um dort mit ihnen hausieren zu gehen. Aber seinen wahren Erfolg hatte er in Russland, wo er anfangs Geschichten über den jüdischen Ritualmord an Christenkindern schrieb. Jetzt hat er sich auf die Alliance Israélite Universelle verlegt, deshalb würden wir ihn gerne von Frankreich fernhalten. Ich sagte Ihnen ja schon mehr als einmal, dass wir keinen Ärger mit diesen Leuten wollen, er käme uns nicht gelegen, zumindest jetzt nicht.«
    »Aber dieser Osman-Bey kommt nach Paris, vielleicht ist er schon da.«
    »Wie ich sehe, Sie sind inzwischen besser informiert als ich. Also gut, behalten Sie ihn im Auge, wir werden uns Ihnen in gewohnter Weise erkenntlich zeigen.«
    So hatte ich nun zwei gute Gründe, um diesen Osman-Bey zu treffen: erstens, um ihm möglichst viel über die Juden zu verkaufen, und zweitens, um Hébuterne über seine Schritte auf dem laufenden zu halten. Tatsächlich meldete sich Osman-Bey nach einer Woche, indem er ein Billet unter der Tür meines Ladens hindurchschob, auf dem er mir die Adresse einer Pension im Marais angab.
    Ich nahm an, dass er ein Gourmet war, und wollte ihn ins Grand Véfour einladen, um ihn eine fricassée de poulet Marengo und les mayonnaises de volaille kosten zu lassen. Wir tauschten ein paar Billets, dann lehnte er jede Einladung ab und gab mir ein Rendezvous für denselben Abend an der Ecke Place Maubert und Rue Maître-Albert. Dort würde ein Fiaker halten, zu dem solle ich gehen, um mich zu erkennen zu geben.
    Als die Droschke an der Ecke des Platzes hielt, schaute jemand aus dem Fenster, dem ich ungern nachts in einer der Straßen meines Viertels begegnet wäre: lange strähnige Haare, gebogene Nase, Raubvogelaugen, erdfahler Teint, Magerkeit eines Schlangenmenschen und ein enervierendes Zucken am linken Auge.
    »Guten Abend, Capitaine Simonini«, sagte er sofort. »In Paris haben auch die Mauern Ohren, wie man zu sagen pflegt. Darum bleibt als einzige Möglichkeit, wenn man in Ruhe reden will, in der Stadt umherzufahren. Der Kutscher kann uns hier nicht hören, und selbst wenn er es könnte – er ist taub wie ein Glöckner.«
    So führten wir unser erstes Gespräch, während der Abend über die Stadt hereinbrach und leichter Regen nieselnd aus einer Nebeldecke kam, die langsam immer tiefer sank, bis sie fast das Straßenpflaster erreichte. Wie es schien, hatte der Kutscher Anweisung, durch die menschenleersten und dunkelsten Viertel zu fahren. Wir hätten auch auf dem Boulevard des Capucines in Ruhe sprechen können, aber Osman-Bey liebte offenbar die Inszenierung.
    »Paris scheint verlassen, sehen Sie sich die Passanten an«, sagte er mit einem Lächeln, das sein Gesicht so erhellte, wie eine Kerze einen Totenschädel erhellen kann (dieser ausnehmend hässliche Mensch hatte sehr schöne Zähne). »Sie huschen umher wie Gespenster. Vielleicht werden sie sich beim ersten Morgengrauen rasch wieder in die Gräber legen.«
    Ich erwiderte trocken: »Schöner Stil, erinnert mich an den besten Ponson du Terrail, aber vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher