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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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angeblich meine sterbliche Hülle war, zwar reduziert zu einem Skelett, aber mit Fetzen einer lederähnlichen Substanz daran, so dass noch eine vage menschliche Form zu erkennen war, wenngleich eine mumifizierte. Zum anderen fand ich neben dem angeblichen Dalla Piccola noch zwei weitere Leichen, die eines Mannes in Priestersoutane und die einer halbnackten Frau, beide schon halb verwest, aber mir war, als erkannte ich in ihnen Personen, die mir einmal ziemlich vertraut gewesen waren. Wer waren diese beiden Toten, die so etwas wie einen Sturm in meinem Herzen entfachten und unsägliche Bilder in mir wachriefen? Ich weiß es nicht, ich will es nicht wissen. Doch unsere beiden Geschichten sind offenbar noch wesentlich komplizierter.
    Jetzt erzählen Sie mir bitte nicht, dass auch Ihnen etwas ganz Ähnliches passiert ist. Ich würde dieses Spiel überkreuzter Koinzidenzen nicht ertragen.
     
    12. April, nachts
    Lieber Abbé,
    ich laufe nicht herum, um Leute umzubringen, jedenfalls nicht ohne Grund. Aber ich bin hinuntergegangen, um nachzusehen, ich war seit Jahren nicht mehr in der Kloake. Großer Gott, da liegen wirklich vier Leichen! Eine habe ich vor Ewigkeiten dorthin gebracht, eine andere haben Sie heute abend dazugelegt, aber wer sind die beiden anderen?
    Wer frequentiert meine Kloake und füllt sie mit Leichen? Die Russen? Was wollen die Russen von mir – von Ihnen – von uns?
    Oh, quelle histoire!

21.
Taxil
    Aus den Aufzeichnungen vom 13. April 1897
     
    Simonini zerbrach sich den Kopf darüber, wer in seine Wohnung eingedrungen sein könnte – und in die von Dalla Piccola. Dabei fiel ihm allmählich wieder ein, dass er in den achtziger Jahren begonnen hatte, den Salon von Juliette Adam zu frequentieren, jener schönen und intelligenten Dame, die ihm in der Buchhandlung an der Rue de Beaune als Madame Lamessine vorgestellt worden war, und dass er dort Juliana Dmitrijewna Glinka 21 kennengelernt hatte und durch sie in Kontakt mit Ratschkowski 20 gekommen war. Wenn jetzt jemand bei ihm (oder bei Dalla Piccola) eingedrungen war, dann sicher auf Rechnung einer jener beiden, die er, wie er sich langsam wieder erinnerte, als Konkurrenten auf der Jagd nach demselben Schatz erlebt hatte. Aber seit damals waren rund fünfzehn Jahre vergangen, in denen soviel geschehen war. Seit wann waren die Russen hinter ihm her?
    Oder waren es vielleicht die Freimaurer? Dann musste er etwas getan haben, was sie gegen ihn aufgebracht hatte, vielleicht suchten sie in seiner Wohnung nach kompromittierenden Dokumenten, die er über sie besaß. In jenen Jahren hatte er die Freimaurerkreise zu kontaktieren versucht, sei es, um Osman-Bey zu befriedigen, sei es wegen Pater Bergamaschi, der ihm im Nacken saß, weil seine Brüder in Rom einen Frontalangriff gegen die Freimaurerei entfesseln wollten (und gegen die Juden, die hinter ihr standen), wozu sie frisches Material brauchten – und wie wenig sie hatten, zeigte sich daran, dass La Civiltà cattolica , die Zeitschrift der Jesuiten, sich gezwungen sah, den Brief von Simoninis Großvater an Abbé Barruel nochmals zu veröffentlichen, obwohl er drei Jahre vorher schon im Contemporain erschienen war.
    Simonini rekonstruierte: In jenen Jahren hatte er sich gefragt, ob es vorteilhaft für ihn wäre, ernstlich in eine Loge einzutreten. Er würde sich einer gewissen Disziplin unterwerfen müssen, an Versammlungen teilnehmen müssen und Mitbrüdern nie eine Gunst verweigern dürfen. Das alles würde seine Bewegungsfreiheit einschränken. Zudem war nicht auszuschließen, dass eine Loge, bevor sie ihn aufnahm, Untersuchungen über sein gegenwärtiges Leben und seine Vergangenheit anstellen würde, was er nicht zulassen durfte. Darum wäre es vielleicht sinnvoller, den einen oder anderen Freimaurer zu erpressen, um ihn als Informanten zu benutzen. Einem Notar, der so viele falsche Testamente aufgesetzt hatte, zumeist für Vermögen von einem gewissen Umfang, musste doch irgendwann auch mal ein höheres Tier der Freimaurerei über den Weg gelaufen sein.
    Außerdem würde es gar nicht nötig sein, regelrechte Erpressungen aufzuziehen. Schon vor einigen Jahren war Simonini zu der Überzeugung gelangt, dass ihm der Aufstieg vom kleinen Spitzel zum international gefragten Spion zwar einiges eingebracht hatte, aber nicht genug für seine Ambitionen. Das Leben als Spion zwang ihn zu einer quasi klandestinen Existenz, während er mit zunehmendem Alter immer mehr das Bedürfnis nach einem gesellschaftlich

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