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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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vergessen wollen oder aus irgendeinem Grunde verschwiegen haben. Aber ich zum Beispiel weiß mit absoluter Gewissheit, dass ich nichts verschwiegen habe. Im übrigen scheint mir die Idee, dass zwei verschiedene Personen gleichzeitig und symmetrisch den Wunsch gehabt haben sollen, dem jeweils anderen etwas zu verschweigen, ziemlich romanhaft zu sein, nicht einmal Montépin hätte sich eine solche Intrige ausdenken können.
    Plausibler ist die Hypothese, dass drei Personen im Spiel waren. Ein mysteriöser Monsieur Mystère dringt morgens um acht bei mir ein, und ich denke, das wären Sie. Vormittags um elf dringt derselbe Mystère bei Ihnen ein, und Sie glauben, das wäre ich. Scheint Ihnen das so unglaubwürdig, bei all den Spionen, die hier umgehen?
    Allerdings beweist uns das nicht, dass wir zwei verschiedene Personen sind. Ein und dieselbe Person kann sich als Simonini an den Besuch von Mystère um acht erinnern, ihn dann vergessen und sich als Dalla Piccola an den Besuch von Mystère um elf erinnern.
    Deshalb löst die ganze Geschichte keinswegs das Problem unserer Identität. Sie macht unser beider Leben bloß noch komplizierter (beziehungsweise das Leben des einen, der wir beide sind), indem sie uns einen Dritten zwischen die Füße wirft, der bei uns eindringen kann, als gäbe es nichts, was ihn daran hindern könnte.
    Und wenn wir nicht zu dritt wären, sondern zu viert? Mystère1 dringt um acht bei mir ein, und Mystère2 um elf bei Ihnen? Welche Beziehung besteht zwischen Mystère1 und Mystère2?
    Und schließlich, sind Sie ganz sicher, dass derjenige, der Ihren Monsieur Mystère verfolgte, Sie waren und nicht ich? Geben Sie zu, das ist doch eine schöne Frage.
    Auf jeden Fall warne ich Sie. Ich habe immer noch meinen Dolchstock. Sobald ich erneut einen Schatten in meiner Wohnung entdecke, schaue ich nicht erst lange, wer das ist, sondern stoße sofort zu. Schwer vorstellbar, dass ich jener andere bin und dass ich mich selber töte. Ich könnte Mystère (1 oder 2) töten. Aber ich könnte auch Sie töten. Also hüten Sie sich.
     
    12. April, abends
    Capitaine,
    Ihre Worte, die ich las, als würde ich aus einer langen Starre erwachen, haben mich verstört. Und wie im Traum stand mir das Bild des Dr. Bataille vor Augen (aber wer ist das?), der mir in Auteuil ziemlich berauscht eine kleine Pistole gab und sagte: »Ich fürchte, wir sind ein bisschen zu weit gegangen, die Freimaurer wollen unseren Tod, wir sollten uns lieber bewaffnen.« Ich war sehr erschrocken, mehr wegen der Pistole als wegen der Drohung, denn ich wusste (aber woher?), dass ich mit den Freimaurern verhandeln konnte. Am nächsten Tag verbannte ich die Waffe in eine Schublade, hier in meiner Wohnung an der Rue Maître-Albert.
    Heute nachmittag haben Sie mich erschreckt, und da bin ich hingegangen, um die Schublade wieder zu öffnen. Dabei hatte ich das seltsame Gefühl, als hätte ich das schon einmal getan und tue es jetzt zum zweiten Mal, aber dann riss ich mich zusammen. Schluss mit den Träumen! Gegen sechs Uhr abends ging ich vorsichtig durch den Korridor mit den Kostümen zu Ihrer Wohnung. Da sah ich eine dunkle Gestalt mir entgegenkommen, einen Mann, der gebeugt voranging, bewaffnet nur mit einer kleinen Kerze. Das hätten Sie sein können, mein Gott, aber ich verlor den Kopf: Ich schoss, und der andere brach vor meinen Füßen zusammen, ohne sich noch zu regen.
    Er war tot, ein einziger Schuss, direkt ins Herz. Ich hatte zum ersten und hoffentlich letzten Mal in meinem Leben geschossen. Wie entsetzlich!
     
     
     
    Ich durchsuchte seine Taschen: Da waren nur Briefe in russischer Sprache. Und als ich ihm ins Gesicht sah, war es offenkundig: Er hatte hohe Wangenknochen und leicht schräge Augen wie ein Kalmücke, zu schweigen von den fast weißblonden Haaren. Er war zweifellos ein Slawe. Was wollte er von mir?
    Ich konnte mir nicht erlauben, den Leichnam im Hause zu behalten, also trug ich ihn hinüber in den Keller unter Ihrem Laden, öffnete die Falltür, und diesmal fand ich den Mut hinunterzusteigen. Mit großer Mühe schleppte ich den Leichnam die Stufen hinunter und zog ihn, auf die Gefahr hin, in den Miasmen zu ersticken, bis zu der Stelle, wo ich glaubte, nur die Knochen des anderen Dalla Piccola zu finden. Stattdessen gab es dort zwei Überraschungen. Zum einen hatten jene Ausdünstungen und jener unterirdische Schimmel dank eines Wunders der Chemie, dieser Königswissenschaft unserer Zeit, die Konservierung dessen bewirkt, was

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