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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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reichen und ehrenvollen Leben verspürte. So hatte er seine wahre Berufung erkannt: nicht ein Spion sein , sondern die Leute glauben machen , dass er einer sei, und zwar einer, der an verschiedenen Tischen spielt, so dass man nie weiß, für wen er gerade Informationen sammelt und wie viele er hat.
    Für einen Spion gehalten zu werden war sehr viel einträglicher, weil alle versuchten, ihm Geheimnisse zu entlocken, die sie für unschätzbar hielten, weshalb sie bereit waren, viel Geld springen zu lassen, um ein paar Vertraulichkeiten von ihm zu ergattern. Aber da sie sich nicht als Nachrichtenjäger zu erkennen geben wollten, nahmen sie seine Tätigkeit als Notar zum Vorwand und bezahlten ihm, ohne mit der Wimper zu zucken, auch exorbitante Rechnungen – wobei sie dann, notabene, nicht nur viel zuviel für unbedeutende notarielle Dienste berappten, sondern auch keinerlei relevante Informationen erhielten. Sie glaubten einfach bloß, dass sie ihn gekauft hätten, und warteten geduldig auf neue Nachrichten.
    Dem ERZÄHLER scheint, dass Simonini seiner Zeit voraus war: Mit dem Umsichgreifen der freien Presse und neuer Informationssysteme, vom Telegraphen bis zum nicht mehr fernen Radio, wurden vertrauliche Nachrichten immer seltener, was zu einer Krise für den Beruf des Geheimagenten führen musste. Besser gar kein Geheimnis besitzen und nur glauben machen, dass man welche besitze. Es ist, wie wenn man von der Rendite eines Vermögens lebt oder von den Abgaben für ein Patent: Du liegst auf der faulen Haut, die anderen brüsten sich, umwerfende Informationen von dir erhalten zu haben, dein Ruhm wächst, und der Rubel rollt ganz von allein.
     
    Wen also kontaktieren, wer könnte, ohne dass er direkt erpresst würde, eine Erpressung fürchten? Der erste Name, der Simonini in den Sinn kam, war Léo Taxil. Er erinnerte sich, ihn kennengelernt zu haben, als er ihm gewisse Briefe fabrizierte (Briefe von wem? für wen?) und Taxil ihm mit einem etwas gravitätischen Stolz von seiner Zugehörigkeit zur Loge Le Temple des amis de l’honneur français erzählte. War Taxil der Richtige? Simonini wollte nichts falsch machen, daher wandte er sich zwecks genauerer Information an Hébuterne. Anders als Lagrange wechselte Hébuterne nie den Treffpunkt: Es war immer dieselbe Stelle hinten im Mittelschiff von Notre-Dame.
    Als Simonini ihn fragte, was die Geheimdienste über Léo Taxil wüssten, musste Hébuterne lachen. »Gewöhnlich sind wir es, die Sie nach Informationen fragen, nicht umgekehrt. Aber diesmal will ich Ihnen entgegenkommen. Der Name sagt mir etwas, aber es betrifft nicht die Dienste, sondern die Polizei. In ein paar Tagen lasse ich es Sie wissen.«
    Der Bericht kam noch in derselben Woche und war zweifellos interessant. Er besagte, dass Marie Joseph Gabriel Antoine Jogand-Pagès, genannt Léo Taxil, 1854 26 in Marseille geboren, bei den Jesuiten zur Schule gegangen war und als gleichsam logische Folge mit achtzehn angefangen hatte, bei antiklerikalen Zeitungen mitzuarbeiten. In Marseille verkehrte er mit anrüchigen Frauenzimmern, darunter einer Prostituierten, die später wegen Mordes an ihrer Puffmutter zu zwölf Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde, und einer weiteren, die wegen versuchten Mordes an ihrem Geliebten ins Gefängnis kam. Vielleicht beschuldigte ihn die Polizei übertrieben pingelig einiger Gelegenheitsbekanntschaften, was seltsam war, denn wie sich zeigte, hatte Taxil auch für die Justiz gearbeitet und ihr Informationen über die von ihm frequentierten republikanischen Kreise geliefert. Aber vielleicht hatte sich die Polizei auch einfach bloß seiner geschämt, denn einmal war er sogar angezeigt worden, weil er Reklame für angebliche Karamellbonbons gemacht hatte, die in Wirklichkeit potenzsteigernde Pillen waren. 1873 31 hatte er, immer noch in Marseille, eine Reihe von Leserbriefen an die lokalen Zeitungen geschrieben, alle unter erfundenen Namen von Fischern, die mit der Behauptung, in der Bucht von Marseille wimmele es von Haien, einen beträchtlichen Alarm auslösten. Später war er, verurteilt wegen antireligiöser Artikel, nach Genf geflohen. Dort verbreitete er Nachrichten über die Existenz von Resten einer römischen Stadt auf dem Grunde des Genfer Sees, womit er Scharen von Touristen anlockte. Wegen Verbreitung falscher und tendenziöser Nachrichten wurde er aus der Schweiz ausgewiesen und ließ sich erst in Montpellier und dann in Paris nieder, wo er eine Librairie Anticléricale in der

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