Die historischen Romane
Rue des Écoles gründete. Vor kurzem in eine Freimaurerloge eingetreten, war er nur wenig später wegen Unwürdigkeit wieder ausgestoßen worden. Offenbar war inzwischen antiklerikale Agitation nicht mehr so einträglich wie früher, und er war mit Schulden überhäuft.
Langsam erinnerte sich Simonini wieder an alles über diesen Taxil. Er hatte eine Reihe von Büchern verfasst, die nicht nur antiklerikal, sondern eindeutig antireligiös waren, zum Beispiel ein Leben Jesu , erzählt durch sehr respektlose Karikaturen (so etwa über das Verhältnis der Jungfrau Maria zur Taube des heiligen Geistes). Er hatte auch einen Schauerroman mit dem Titel Der Sohn des Jesuiten geschrieben, der bewies, was für ein Betrüger er war: Auf der ersten Seite stand eine Widmung an Giuseppe Garibaldi (»den ich liebe wie einen Vater«), wogegen ja noch nichts einzuwenden gewesen wäre, aber auf dem Umschlag warb er mit einer »Einführung von Giuseppe Garibaldi«. Diese Einführung trug den Titel »Antiklerikale Gedanken« und präsentierte sich als eine wüste Beschimpfung des Klerus (»wenn ein Priester vor mir steht, und vor allem ein Jesuit, die Quintessenz eines Priesters, dann frappiert mich die ganze Hässlichkeit seiner Natur so stark, dass sie mir Schaudern und Übelkeit verursacht«), aber nirgends wurde das Werk genannt, in das diese Einführung angeblich einführte – womit klar war, dass Taxil sich den Text von Garibaldi aus irgendeinem anderen Kontext geholt hatte und in seinem Buch präsentierte, als wäre er extra dafür geschrieben.
Mit einem so fragwürdigen Zeitgenossen wollte Simonini sich lieber nicht kompromittieren. So beschloss er, sich ihm als »Notar Fournier« vorzustellen, zu welchem Zweck er sich eine schöne Perücke aufsetzte, das Haar von ungewisser Farbe, zu Kastanienbraun tendierend, säuberlich gekämmt mit Seitenscheitel, und sich einen dünnen Schnurrbart von gleicher Farbe anklebte, der seinem Gesicht ein hageres Aussehen gab, das er mit einer passenden Crème noch etwas blasser machte. Vor dem Spiegel probierte er, sich ein leicht idiotisches Lächeln ins Gesicht zu pflanzen, das zwei Goldzähne sichtbar machte – dank einem kleinen dentistischen Meisterwerk, das ihm erlaubte, seine natürlichen Zähne zu bedecken. Die kleine Prothese verzerrte zudem seine Aussprache und veränderte dadurch auch seine Stimme.
Tags zuvor hatte er seinem Mann in der Rue des Écoles ein petit bleu per Rohrpost geschickt, in dem er ihn für den nächsten Tag ins Café Riche einlud. Das war eine bewährte Art, sich einzuführen, denn in diesem Lokal hatten nicht wenige berühmte Persönlichkeiten gesessen, und angesichts einer Scholle oder einer Waldschnepfe alla Riche würde ein zur Prahlerei neigender Parvenu nicht widerstehen können.
Léo Taxil hatte ein pausbäckiges Gesicht mit fettiger Haut, auf dem ein imposanter zweiteiliger Schnurrbart prangte, eine breite Stirn mit großen Geheimratsecken, die ständig von Schweißperlen glänzten, und eine etwas zu stark aufgetragene Eleganz. Er sprach zu laut und mit einem unerträglichen Marseiller Dialekt.
Er verstand nicht recht, warum dieser Notar Fournier ihn sprechen wollte, aber peu à peu fing er an, sich geschmeichelt zu fühlen, da er es offenbar mit einem scharfen Beobachter der menschlichen Natur zu tun hatte, einem von denen, welche die Romanciers jener Zeit »Philosophen« nannten, der sich für seine antiklerikalen Streitschriften und seine einzigartigen Erfahrungen interessierte. So begann er mit erregter Stimme und vollem Mund, seine Kühnheiten als Jugendlicher zu beschreiben.
»Als ich die Geschichte mit den Haifischen in der Bucht von Marseille verbreitete, blieben sämtliche Badestationen von den Catalans bis zum Strand von Prado mehrere Wochen lang leer, der Bürgermeister sagte, die Haie seien bestimmt aus Korsika gekommen im Gefolge eines Schiffes, das verdorbene Reste von Räucherfleisch ins Meer geworfen hätte, der Stadtrat verlangte, dass eine Kompanie chassepots zu einer Expedition auf einem Schlepper losgeschickt würde, und tatsächlich sind hundert Mann unter dem Kommando von General Espivent eingetroffen! Und die Geschichte mit dem Genfer See? Da waren Korrespondenten aus allen Ecken Europas gekommen! Es wurde behauptet, die versunkene Stadt sei zur Zeit von Cäsars De bello gallico erbaut worden, als der See noch so schmal war, dass die Rhône hindurchfloss, ohne dass die Wasser sich vermischten. Die örtlichen
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