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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Piccolas gelesen hätte, gesehen haben, dass der Text plötzlich abbrach, als hätte die Feder, die seine Hand nicht mehr zu halten vermochte, während der Körper des Schreibenden zu Boden sank, einen langen sinnlosen Schnörkel gemacht, der über den Rand der Seite hinausging und mit einem Klecks auf dem grünen Filzbelag des Schreibtisches endete. Und danach, auf einem nächsten Blatt, schien es, als habe nun Hauptmann Simonini wieder zu schreiben begonnen.
    Dieser fand sich, als er erwachte, als Priester gekleidet mit Dalla Piccolas Perücke auf dem Kopf, doch er wusste nun ohne den Schatten eines Zweifels, dass er Simonini war. Er sah sofort auf dem Schreibtisch die mit einer hysterischen und immer konfuser werdenden Schrift bedeckten letzten Seiten, die der angebliche Dalla Piccola verfasst hatte, und während er sie las, geriet er ins Schwitzen, sein Herz klopfte heftig, und gemeinsam mit dem Schreibenden rief er sich in Erinnerung, was geschehen war, bis er zu dem Moment kam, wo die Eintragung des Abbé endete und er (der Abbé) oder er (Simonini) in Ohnmacht gefallen waren… nein: gefallen war .
    Als er wieder zu sich kam und der Nebel in seinem Kopf sich nach und nach lichtete, wurde ihm alles klar. Er begriff und wusste nun plötzlich, dass er und Dalla Piccola ein und dieselbe Person waren. Denn das, woran Dalla Piccola sich in der letzten Nacht erinnert hatte, kam nun auch ihm langsam wieder ins Gedächtnis zurück, will sagen, er erinnerte sich daran, dass er verkleidet als Abbé Dalla Piccola (nicht als der mit den vorstehenden Zähnen, den er vor vielen Jahren umgebracht hatte, sondern als der andere, den er jahrelang wieder ins Leben gerufen und verkörpert hatte) die schreckliche Erfahrung der schwarzen Messe gemacht hatte.
    Was war danach geschehen? Vielleicht hatte Diana ihm während ihres Gerangels die Perücke vom Kopf gerissen, vielleicht hatte er, um die Leiche der Unseligen in die Kloake zu schleppen, sich die Soutane abgestreift und war dann, fast außer sich, nur taumelnd und tastend in sein Zimmer an der Rue Maître-Albert zurückgekehrt, wo er am Morgen des 22. März erwachte, ohne zu begreifen, wo seine Sachen geblieben waren.
    Der fleischliche Kontakt mit Diana, die Enthüllung ihrer schändlichen Herkunft und ihre notwendige, fast rituelle Tötung waren zuviel für ihn gewesen, und so hatte er in jener selben Nacht das Gedächtnis verloren, oder genauer, sie hatten es beide gemeinsam verloren, Dalla Piccola und Simonini, und die beiden Persönlichkeiten hatten sich während dieses Monats in ihm abgewechselt. Vermutlich war er wie Diana von einem Zustand in den anderen übergewechselt, jedesmal durch eine Krise, einen epileptischen Anfall, eine Ohnmacht oder dergleichen, aber ohne sich dessen bewusst zu werden und in der Annahme, dass er bloß geschlafen hätte.
    Die Therapie des Doktor Froïde hatte funktioniert: Indem Simonini seinem Alter ego nach und nach erzählte, was er mühsam und wie im Traum seinem trägen Gedächtnis entriss, war er schließlich zu dem entscheidenden Punkt gelangt, zu dem traumatischen Ereignis, das ihn in die Amnesie gestürzt und in zwei Personen zerteilt hatte, von denen jede sich nur an einen Teil ihrer gemeinsamen Vergangenheit erinnern konnte, ohne dass er oder der andere, der jedoch auch er selber war, ihre Einheit wiederherzustellen vermochten, da jeder der beiden versuchte, dem anderen den schrecklichen, nicht eingestehbaren Grund dieser ihrer Gedächtnisstörung zu verbergen.
     
    Die Erinnerungsarbeit hatte Simonini sehr angestrengt, er fühlte sich erschöpft, und um sich zu vergewissern, dass er wirklich zu neuem Leben wiedergeboren war, klappte er das Tagebuch zu und beschloss auszugehen und sich jeder Begegnung zu stellen, da er nun endlich wieder wusste, wer er war. Ein gutes Essen wäre jetzt schön, aber an diesem Tag wollte er sich noch keine Schlemmerei gönnen, da seine Sinne schon schwer genug geprüft worden waren. Wie ein Eremit in der Wüste verspürte er ein Bedürfnis nach Buße. So ging er zu Flicoteaux und brachte es fertig, für dreizehn Sous auf vernünftige Weise schlecht zu essen.
     
    Nach Hause zurückgekehrt, notierte er sich einige Details, die er noch rekonstruieren musste. Es gab eigentlich keinen Grund mehr, ein Tagebuch weiterzuführen, das er begonnen hatte, um sich an das zu erinnern, was er nun wusste, aber inzwischen war ihm das Tagebuchschreiben zu einer Gewohnheit geworden. In der Annahme, dass es einen Dalla

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