Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
Piccola gäbe, der ein anderer war als er selber, hatte er fast einen Monat lang die Illusion genährt, es gäbe jemanden, mit dem er einen Dialog führen könnte, und während er diesen Dialog zu führen versuchte, war ihm bewusst geworden, wie allein er schon immer, schon seit seiner Kindheit gewesen war. Vielleicht (wagt der ERZÄHLER hier einzuwerfen) hatte er seine Persönlichkeit aus ebendiesem Grunde gespalten: um sich einen Gesprächspartner zu erschaffen.
    Jetzt war der Moment gekommen, sich klarzumachen, dass der Andere nicht existierte und dass auch das Tagebuch nur ein solitärer Zeitvertreib war. Doch er hatte sich an dieses Monologisieren gewöhnt und beschloss weiterzumachen. Nicht dass er sich selbst besonders liebte, aber der Verdruss, den ihm die anderen bereiteten, brachte ihn dazu, sich selbst immerhin zu ertragen.
    Erfunden hatte er Dalla Piccola – seinen Dalla Piccola, nachdem er den wahren umgebracht hatte –, als Lagrange ihn gebeten hatte, sich um Boullan zu kümmern. Dabei hatte er sich gedacht, dass ein Geistlicher bei manchen Unternehmungen weniger verdächtig sein würde als ein Laie. Und er fand es auch nicht schlecht, jemanden wieder ins Leben zu rufen, den er liquidiert hatte.
    Als er das Haus mit dem Laden in der Impasse Maubert gekauft hatte (was damals ein Schnäppchen gewesen war), hatte er das Zimmer mit dem Ausgang zur Rue Maître-Albert nicht gleich benutzt und es vorgezogen, seine Adresse in der Impasse zu haben, um den Laden betreiben zu können. Erst als Dalla Piccola dann in Erscheinung trat, hatte er das Zimmer mit billigen Möbeln ausgestattet und dort die Phantom-Wohnung seines Phantom-Abbés eingerichtet.
    Außer zum Herumschnüffeln in satanistischen und okkultistischen Kreisen hatte ihm Dalla Piccola auch für Auftritte am Bett eines Sterbenden gedient, an das ihn der nahe (oder ferne) Verwandte gerufen hatte, der dann der Begünstigte in dem Testament sein sollte, das Simonini herstellen würde – so dass, falls jemand das unerwartete Testament anzweifelte, man die Zeugenaussage eines Geistlichen hatte, der schwören konnte, dass das Testament mit dem letzten Willen des Sterbenden übereinstimmte, den ihm dieser ins Ohr geflüstert hatte. So ging es bis zu der Taxil-Geschichte, bei der Dalla Piccola dann beherrschend geworden war und praktisch das ganze Unternehmen mehr als zehn Jahre lang geleitet hatte.
    Als Dalla Piccola hatte Simonini auch mit Pater Bergamaschi und Hébuterne verhandeln können, denn seine Verkleidung war sehr effizient gewesen. Dalla Piccola war bartlos, dunkelblond, hatte dichte Augenbrauen und trug vor allem eine blaugetönte Brille, die seinen Blick verbarg. Und als wäre das noch nicht genug, hatte er sich auch eine andere Handschrift zugelegt, die kleiner und fast weiblich war, und hatte sogar begonnen, seine Stimme zu verändern. Tatsächlich, sprach und schrieb Simonini als Dalla Piccola nicht bloß anders, sondern dachte auch anders und versetzte sich ganz in dessen Rolle hinein.
    Schade, dass Dalla Piccola nun verschwinden musste (das Schicksal aller Abbés mit diesem Namen), aber Simonini musste sich die ganze Geschichte vom Halse schaffen, sei’s um aus seinem Gedächtnis die schändlichen Dinge zu tilgen, die zu seinem Trauma geführt hatten, sei’s weil Taxil am Ostermontag gemäß seinem Versprechen öffentlich abschwören würde, sei’s schließlich weil, nachdem nun Diana verschwunden war, es besser sein würde, alle Spuren der ganzen Verschwörung zu tilgen für den Fall, dass jemand sich beunruhigende Fragen stellen sollte.
    Es war jetzt Ostersonntag, Simonini blieb nur dieser Tag und der Vormittag des folgenden. Daher zog er sich noch ein letztes Mal als Dalla Piccola an, um Taxil aufzusuchen, der fast einen Monat lang alle paar Tage nach Auteuil gekommen war, ohne dort jemand anders als die Alte zu finden, die von nichts wusste, so dass Taxil schon fürchtete, Diana und der Abbé seien von Freimaurern entführt worden. Simonini sagte ihm, Dr. Du Maurier habe ihm endlich die Adresse der wahren Familie von Diana in Charleston gegeben und er habe einen Weg gefunden, sie nach Amerika zurückzuschicken. Gerade noch rechtzeitig, damit Taxil seine öffentliche Aufdeckung des Schwindels in Szene setzen konnte. Er gab ihm fünftausend Francs als Vorschuss auf die versprochenen fünfundsiebzigtausend, und sie verabredeten sich für den nächsten Nachmittag in der Société de Géographie.
    Danach, immer noch als Dalla Piccola,

Weitere Kostenlose Bücher