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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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das Medaillon bleibt in meiner Hand. Diana versucht es wiederzuholen, ich weiche in den hinteren Teil des Zimmers zurück und öffne die kleine Schatulle.
    Es erscheint ein goldener Umriss, der ohne jeden Zweifel die mosaischen Gesetzestafeln darstellt, und eine hebräische Schrift.
    »Was soll das heißen?« frage ich, während ich mich Diana nähere, die mit weit aufgerissenen Augen auf dem Bett liegt. »Was bedeuten diese Zeichen hinter dem Bild deiner Mutter?«
    »Meine Mama«, murmelt sie mit fahler Stimme, »meine Mama war Jüdin… Sie glaubte an Adonai…«

     
     
     
    So also ist das. Ich habe mich nicht nur mit einer Frau vereinigt, einer Tochter aus dem Stamme Satans, sondern mit einer Jüdin – denn bei den Juden, das weiß ich, zählt die Abstammung von der Mutter. Und somit, sollte mein Samen bei dieser Vereinigung ihren unreinen Leib befruchtet haben, hätte ich einen Juden gezeugt.
    »Das kannst du mir nicht antun«, schreie ich und stürze mich auf die Hure, umklammere ihren Hals, sie windet sich, ich drücke fester zu, Boullan rappelt sich auf und packt mich von hinten, ich versetze ihm einen Tritt in die Leiste und sehe ihn in einer Ecke zusammenbrechen, ich werfe mich erneut auf Diana (oh, ich hatte wirklich den Verstand verloren!), ihre Augen treten aus den Höhlen, ihre Zunge streckt sich dick angeschwollen aus dem Mund, ich höre ein letztes Keuchen, dann erschlafft ihr Körper leblos unter meinem Griff.
    Ich komme wieder zu mir. Ich bedenke die Ungeheuerlichkeit meiner Tat. In einer Ecke stöhnt Boullan, quasi entmannt. Ich versuche mich zu beruhigen und lache: Komme, was da wolle, ich werde jedenfalls nicht der Vater eines Juden sein.
     
    Ich fasse mich wieder. Ich überlege, ich muss die Leiche der Frau in der Kloake unter dem Keller verschwinden lassen – die inzwischen einladender als Ihr Prager Friedhof zu werden beginnt, Capitaine. Aber es ist dunkel, ich müsste eine Lampe mitnehmen, durch den ganzen Korridor bis zu Ihrer Wohnung gehen, die Treppe zum Laden und weiter zum Keller hinuntersteigen. Ich könnte die Hilfe von Boullan gebrauchen, der sich gerade wieder vom Boden aufrappelt und mich mit dem Blick eines Irren anstarrt.
    Im selben Augenblick wird mir klar, dass ich den Zeugen meines Verbrechens nicht aus diesem Hause gehen lassen kann. Ich entsinne mich der Pistole, die mir Bataille gegeben hat, öffne die Schublade, in die ich sie gelegt habe, und richte sie auf Boullan, der mich weiter wie irre anstarrt.
    »Tut mir leid, Abbé«, sage ich, »wenn Sie sich retten wollen, helfen Sie mir, diesen ach so zarten Leib verschwinden zu lassen.«
    »Ja, ja«, sagt er wie in erotischer Ekstase. In seiner Verwirrung muss ihm die tote Diana mit heraushängender Zunge und aufgerissenen Augen ebenso begehrenswert erscheinen wie die nackte Diana, als sie mich zu ihrer Lust missbraucht hatte.
    Allerdings bin auch ich nicht eben klar und nüchtern. Wie im Traum hülle ich Diana in ihren Mantel, reiche Boullan eine Lampe, packe die Tote an den Füßen und schleife sie durch den Korridor bis zu Ihrer Wohnung, Capitaine, dann die Treppe hinunter in Ihren Laden und Ihren Keller und weiter bis in die Kloake, bei jeder Stufe schlägt der Kopf der Leiche mit einem dumpfen Geräusch auf, und schließlich lege ich sie neben die Überreste des Abbé Dalla Piccola (des anderen).
    Boullan scheint verrückt geworden zu sein. Er lacht.
    »Überall Tote«, sagt er. »Vielleicht ist es hier unten besser als draußen in der Welt, wo mich Guaita erwartet… Könnte ich nicht bei Diana bleiben?«
    »Aber ja doch, Abbé«, sage ich, »ich könnte mir nichts Besseres wünschen.«
    Ich ziehe die Pistole, schieße und treffe ihn mitten in die Stirn. Er stürzt taumelnd zu Boden, halb auf Dianas Beine. Ich muss mich bücken, ihn hochheben und ordentlich neben sie legen. Jetzt liegen sie nebeneinander wie zwei Liebende.
     
    * * *
     
    Und so habe ich nun gerade eben, indem ich es erzählte, durch bange Erinnerungsarbeit entdeckt, was geschehen war, kurz bevor ich das Gedächtnis verloren hatte.
    Der Kreis hat sich geschlossen. Jetzt weiß ich es. Jetzt, im Morgengrauen des 18. April, am Ostersonntag, habe ich niedergeschrieben, was in der Nacht zum 22. März demjenigen widerfahren war, den ich für den Abbé Dalla Piccola gehalten ha………

25.
Klarheit gewinnen
    Aus den Aufzeichnungen vom 18. und 19. April 1897
     
    An dieser Stelle würde, wer über Simoninis Schulter spähend die Eintragungen Dalla

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