Die historischen Romane
Versuchung spricht ja bereits die Heilige Schrift zur Genüge. Der Prediger Salomo sagt vom Weibe, ihr Reden sei wie brennendes Feuer, und in den Sprüchen heißt es, sie bemächtige sich der edlen Seele des Mannes, sie habe schon viele zu Fall gebracht, und selbst die Stärksten seien von ihr vernichtet worden. Auch predigt der Ekklesiast: Ich fand, dass bitterer sei denn der Tod das Weib, das wie die Schlinge des Jägers ist, dessen Herz ein Netz und dessen Hände Stricke sind. Andere nannten sie gar ein Vehikel des Satans. Dies klärend vorausgeschickt, kann ich mir freilich nicht vorstellen, lieber Adson, dass Gott ein so ruchloses Wesen in seine Schöpfung eingeführt haben sollte, ohne ihm nicht auch ein paar Tugenden mitzugeben. Und ich kann nicht umhin, über die Tatsache nachzudenken, dass er ihm zahlreiche Privilegien und Vorzüge eingeräumt hat, von denen ich nur die drei größten hier nennen will. Erstens schuf er bekanntlich den Mann in dieser niederen Welt und aus einem Erdenkloß, das Weib aber in einem zweiten Schöpfungsakt unmittelbar im Paradies und aus edlem menschlichen Stoff. Und er schuf sie nicht etwa aus den Füßen oder den Eingeweiden Adams, sondern aus seiner Rippe. Zweitens hätte sich der Allmächtige sicherlich auch direkt in einem Manne verkörpern können, doch er zog es vor, im Bauch einer Frau zu wohnen, ein Zeichen dafür, dass sie nicht so ruchlos gewesen sein konnte. Und als er sich zeigte nach seiner Auferstehung, zeigte er sich einer Frau. Drittens schließlich wird in den Gefilden des Himmels kein Mann als König herrschen, sondern vielmehr als Königin eine Frau, die niemals gesündigt hat. Wenn also schon Unser Himmlischer Vater so große Aufmerksamkeit für Eva und ihre Töchter hatte, ist es dann so abnorm, dass auch wir uns angezogen fühlen von ihrer Anmut und edlen Schönheit? Was ich damit sagen will, lieber Adson: Gewiss darfst du das nie wieder tun, aber so ungeheuerlich ist dein Fehltritt nun auch wieder nicht. Und außerdem, dass ein Mönch und Seelsorger wenigstens einmal in seinem Leben die fleischliche Leidenschaft selber erfährt, so dass er später nachsichtig und verständnisvoll mit den armen Sündern umgehen kann, denen er Trost und Rat spenden soll..., nun ja, lieber Adson, man soll das nicht geradezu herbeiführen, bevor es geschieht, aber wenn es denn einmal geschehen ist, soll man es auch nicht allzusehr geißeln. Also geh mit Gott, mein Sohn, und reden wir nicht mehr davon. Fragen wir uns lieber, um nicht allzulang nachzusinnen über etwas, das man besser vergisst, sofern man das kann...« – und bei diesen Worten schien mir Williams Stimme ein wenig zu schwanken wie von einer inneren Rührung – »was die Ereignisse dieser Nacht zu bedeuten haben: Wer war das Mädchen und mit wem hatte sie ein Stelldichein?«
»Das eben weiß ich nicht, ich habe den Mann nicht erkennen können, der bei ihr war.«
»Nun gut, aber wir können aus einer Reihe sehr zuverlässiger Indizien schließen, wer es war. Zunächst und vor allem muss er alt und hässlich gewesen sein, ein Mann, mit dem sich ein junges Mädchen nicht gern einlässt, zumal wenn es ein schönes Mädchen ist, wie du gesagt hast – obwohl mir scheint, mein junger Springinsfeld, dass du in deinem Durst ein wenig geneigt warst, jede Quelle köstlich zu finden...«
»Warum muss er alt und hässlich gewesen sein?«
»Weil das Mädchen nicht aus Liebe zu ihm ging, sondern für eine Portion Schlachtabfälle. Es war sicher ein Mädchen aus dem Dorf, das sich – vielleicht nicht zum erstenmal – einem lüsternen Mönch aus Not hingeben wollte, um dafür etwas zu ergattern, womit es sich und seiner Familie die hungrigen Mäuler stopfen kann.«
»Eine Hure?!« rief ich entsetzt.
»Ein armes Bauernmädchen, lieber Adson. Vielleicht hat sie zu Hause eine Schar kleiner Brüder, die sie ernähren muss. Und wenn sie könnte, würde sie sich aus Liebe hingeben und nicht für Lohn. Wie sie es zum Beispiel vorhin getan hat. Du hast mir erzählt, dass sie dich jung und schön fand, und sie gab dir gratis und für deine Liebe, was sie einem anderen für ein Rinderherz und ein paar Lungenfetzen geben wollte. Und nach dieser freiwilligen Hingabe ihrer selbst fühlte sie sich so erhoben und tugendhaft, dass sie floh, ohne das Bündel oder sonst etwas mitzunehmen. Begreifst du nun, warum ich meine, dass der andere, mit dem sie dich verglichen hat, weder jung noch schön sein kann?«
Ich gestehe, dass mich diese
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