Die historischen Romane
mich in diesen Tagen, auf Wunsch des Abtes und um die mir anvertraute Aufgabe im Interesse und zum Wohl unseres Treffens zu erfüllen, mit überaus traurigen Vorfällen in diesen Mauern beschäftigen muss, Vorfällen, die den pestilenzialischen Schwefelgeruch des Satans ausströmen. Ich erwähne das, weil ich weiß, dass Ihr Euch einst, als Ihr mir näher standet, an meiner und meinesgleichen Seite auf jenem Felde geschlagen habt, auf welchem die Heerscharen des Guten mit denen des Bösen ringen.«
»In der Tat«, versetzte William, »aber dann bin ich zur anderen Seite übergegangen.«
Bernard steckte auch diesen Hieb ein, ohne mit der Wimper zu zucken. »Könnt Ihr mir etwas Nützliches sagen über diese schlimmen Delikte?«
»Leider nein«, erwiderte William höflich. »Mir fehlt Eure Erfahrung in schlimmen Delikten.«
Nach dieser Begrüßung gingen die Herren auseinander, und ich verlor ihre Spuren. William begab sich nach einer weiteren kurzen Besprechung mit Michael und Ubertin ins Skriptorium, wo er Malachias um einige Bücher bat, die er studieren wollte, leider verstand ich die Titel nicht. Malachias sah ihn befremdet an, konnte die Bitte aber nicht abschlagen. Seltsamerweise musste er die gewünschten Bücher nicht aus der Bibliothek holen, denn sie fanden sich allesamt auf dem Tisch des Venantius. Alsbald versenkte mein Meister sich in die Lektüre, und ich beschloss, ihn nicht weiter zu stören.
Als ich in die Küche hinabging, erblickte ich dort Bernard Gui. Vielleicht wollte er sich einen Überblick über die Anlage der Abtei verschaffen und ging überall herum. Ich hörte, wie er die Köche und Küchendiener befragte, im Dialekt jener Gegend, den er schlecht und recht sprach (ich erinnerte mich, dass er in Norditalien Inquisitor gewesen war). Soweit ich verstand, erkundigte er sich nach der Ernte, der Arbeitsorganisation im Kloster und ähnlichen Dingen mehr. Doch auch bei den harmlosesten Fragen sah er die Befragten durchdringend an und stellte dann ganz unvermittelt andere Fragen, so dass seine Opfer schließlich erbleichten und zu stammeln begannen. Mir wurde klar: Er hatte bereits mit seinen Nachforschungen begonnen und bediente sich dabei einer furchtbaren Waffe, die jeder Inquisitor beherrscht: der Einschüchterung des Verhörten. Denn irgendwann sagt gewöhnlich jeder auf diese Weise Verhörte, aus Angst, er könnte beschuldigt werden, dem Verhörenden irgendetwas, das den Verdacht auf einen anderen lenkt.
Den ganzen restlichen Nachmittag lang, wohin ich meine Schritte auch wandte, sah ich Bernard in dieser Weise vorgehen, ob bei den Mühlen, im Garten oder im Kreuzgang. Aber so gut wie nie sprach er Mönche an, immer nur Laienbrüder oder Bauern. Das Gegenteil dessen, was William bisher getan.
Vierter Tag
VESPER
Worin der greise Alinardus wertvolle Informationen zu geben scheint und William seine Methode enthüllt, durch eine Reihe sicherer Irrtümer zu einer wahrscheinlichen Wahrheit zu gelangen.
A ls es dunkel zu werden begann, kam William gut gelaunt aus dem Skriptorium. Wir begaben uns in den Kreuzgang, um vor dem Abendmahl noch ein paar Schritte zu tun, und fanden dort Alinardus. Ich hatte mir in der Küche, seiner zwei Tage zuvor geäußerten Bitte gedenkend, Kichererbsen besorgt und bot ihm welche an. Er nahm sie dankend, schob sie sich in den zahnlosen, sabbernden Mund und sagte: »Hast du gesehen, mein Sohn: auch die dritte Leiche lag genau da, wo es im Buche geschrieben steht... Wart nur, bald wird die vierte Posaune blasen!«
Ich fragte den Alten, warum er so fest daran glaube, dass der Schlüssel für die Mordserie in der Offenbarung Johannis zu finden sei. Er sah mich erstaunt an: »Die Apokalypse liefert den Schlüssel für alles!« Und griesgrämig mümmelnd fügte er an: »Ich hab's gewusst, ich hab's schon immer gesagt... Ich war es, der dem Abt riet, dem von damals, dass er überall Apokalypsen-Kommentare sammeln sollte, so viele wie möglich. Ich sollte nämlich Bibliothekar werden, damals... Aber dann hat es der andere geschafft. Er war sehr schlau, er ließ sich nach Silos schicken, wo er die schönsten Handschriften fand, und kam mit reicher Beute zurück... Oh ja, er wusste genau, wo man suchen musste, und er konnte sogar die Sprache der Ungläubigen... So wurde ihm schließlich die Bibliothek anvertraut, und ich ging leer aus... Aber Gott hat ihn gestraft und vorzeitig abberufen ins Reich der Finsternis. Hihihi...« Er kicherte bösartig vor
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