Die historischen Romane
tieferen Regionen des Körpers absinke und die Haut gefrieren lasse, springe in den Momenten der Freude an die Oberfläche und entflamme das Gesicht. Als Heilmittel schlug Arnaldus vor, man solle versuchen, das Vertrauen und die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit der geliebten Person zu verlieren, auf dass die Gedanken sich von ihr entfernen...
Wie das? Dann wäre ich ja geheilt! Oder jedenfalls auf dem Wege der Heilung, fuhr es mir durch den Kopf. Denn ich habe wenig oder gar keine Hoffnung mehr, das Objekt meiner obsessiven Gedanken wiederzusehen, und wenn ich es wiedersähe, es zu berühren, und wenn ich es berührte, es erneut zu besitzen, und wenn ich es erneut besäße, es zu behalten – sei's wegen meines mönchischen Status oder wegen der Pflichten, die mir der Rang meiner Familie auferlegte... Ich bin gerettet, sagte ich mir, klappte das Büchlein zu und atmete auf. Im selben Moment trat William herein. Wir setzten unseren Rundgang durch das – wie berichtet – inzwischen erschlossene Labyrinth fort, und ich löste mich für den Augenblick von meiner Obsession.
Wie der Leser gleich sehen wird, sollte sie mich in Kürze erneut überfallen, allerdings (leider!) unter ganz anderen Umständen.
Vierter Tag
NACHT
Worin Salvatore kläglich der Inquisition in die Falle geht, die Geliebte der Adsonschen Träume als Hexe abgeführt wird und alle unglücklicher als zuvor auseinandergehen.
W ir stiegen gerade die Treppe zum Refektorium hinunter, als wir aus der Küche ein lautes Rufen hörten und den flackernden Schein von Lichtern sahen. Sofort löschte William das unsere. Wir tasteten uns an den Wänden entlang zur Küchentür und bemerkten, dass der Lärm in Wahrheit von draußen kam, allerdings stand die Außentür offen. Während wir lauschend verharrten, entfernten sich die Stimmen und Lichter, und jemand warf krachend die Tür ins Schloss. Ein solcher Tumult konnte wahrlich nichts Gutes verheißen. Rasch eilten wir durchs Ossarium zurück, durchquerten die leere Kirche und verließen sie durch das Südportal. Im Kreuzgang leuchteten Fackeln.
Wir traten näher und mischten uns in der allgemeinen Verwirrung unauffällig unter die Mönche, deren Zahl rasch wuchs, da ständig neue herbeiströmten, teils aus dem Dormitorium, teils aus dem Pilgerhaus. Vor unseren Augen stand ein Trupp Bogenschützen, und in ihrer Mitte wand sich, an beiden Armen mit festem Griff gehalten, weiß wie das Weiß seiner Augen, der unselige Salvatore nebst einer schluchzenden Frauengestalt. Mir zog sich das Herz zusammen: Sie war es leibhaftig, die Geliebte meiner Gedanken und Träume! Auch sie erkannte mich gleich und warf mir einen flehentlichen, verzweifelten Blick zu. Schon wollte ich mich in unwillkürlichem Drange hinstürzen und sie befreien, doch William hielt mich zurück mit ein paar leise gezischten Worten, die alles andere als freundlich klangen. Von allen Seiten kamen nun Mönche und Gäste herbeigeströmt.
Es kam der Abt, es kam Bernard Gui, dem der Hauptmann der Bogenschützen einen knappen Rapport erstattete. Folgendes war geschehen.
Auf Anordnung des Inquisitors waren die Bogenschützen während der Nacht durch die ganze Abtei patrouilliert, wobei sie ihr Augenmerk insbesondere auf die Allee vom Torbau zur Kirche, die Gärten und die Fassade des Aedificiums gerichtet hatten. (Warum gerade darauf? fragte ich mich, und begriff: Vermutlich hatte Bernard von den Knechten und Küchendienern Gerüchte über nächtliche Umtriebe zwischen Umfassungsmauer und Küche gehört, ohne bereits genau zu wissen, um was es sich handelte, und wer weiß, vielleicht hatte der schwatzhafte Salvatore, so wie er mit mir über seine Pläne gesprochen, auch vorher schon einem Stall- oder Küchenburschen davon erzählt, der dann womöglich, eingeschüchtert durch Bernards Verhöre am Nachmittag, diesem entsprechende Andeutungen gemacht...) Jedenfalls hatten die Bogenschützen bei ihrer Patrouille durch Nacht und Nebel den unseligen Salvatore mitsamt dem Mädchen erwischt, als er sich gerade an der Küchentüre zu schaffen machte.
»Ein Weib an diesem heiligen Ort! Noch dazu mit einem Mönch!« sagte Bernard tadelnd zum Abt. »Hochwürdiger Herr, wenn es sich lediglich um eine Verletzung des Keuschheitsgebotes handeln würde, fiele dieses Sünders Bestrafung gewiss in Eure Jurisdiktion. Doch da wir nicht wissen, ob die nächtlichen Umtriebe dieser beiden nicht etwas mit dem Heil der hier weilenden Gäste zu tun haben, müssen wir
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