Die historischen Romane
Stimmen gehört und nicht auf Figuren geachtet, und dann darf ich nur Spiegel bauen, die nicht umkippen? Ich will dir was sagen, ich stelle zwölftausend Bewaffnete als Wachen für den Spiegel auf, alle rings um den untersten Pfeiler, damit sie gut auf ihn aufpassen und sich keiner anlehnen kann. In Ordnung?«
»In Ordnung, in Ordnung, der Spiegel ist deine Sache«, sagte der Rabbi konziliant.
Abdul verfolgte diese Reden lächelnd, während er versonnen ins Leere blickte, und Baudolino begriff, dass er in jenem Spiegel mindestens einen Schatten seiner fernen Prinzessin erblicken wollte.
»In den nächsten Tagen mussten wir uns beeilen, denn der Poet musste wieder zurück, und er wollte den Rest der Geschichte noch mitkriegen«, sagte Baudolino zu Niketas. »Doch wir waren jetzt auf dem richtigen Weg.«
»Auf dem richtigen Weg? Aber dieser Priester war doch, so will mir scheinen, noch unglaubwürdiger als die Heiligen Drei Könige in Kardinalsgewändern und Karl der Große inmitten der Himmlischen Heerscharen ...«
»Der Priester würde schon noch glaubwürdig werden, wenn er erst einmal ein persönliches Lebenszeichen von sich gab, in Gestalt eines Briefes an Friedrich.«
12. Kapitel
Baudolino schreibt den Brief des
Priesters Johannes
Auf die Idee, einen Brief des Priesters Johannes zu schreiben, kamen sie durch eine Geschichte, die Rabbi Solomon von den Arabern in Spanien gehört hatte. Ein Seefahrer namens Sindbad, der zur Zeit des Kalifen Harun al-Raschid gelebt hatte, war eines Tages schiffbrüchig auf einer Insel gelandet, die sich genau auf der Linie des Äquinoktiums befand, so dass dort Tag und Nacht jeweils genau zwölf Stunden dauerten. Sindbad sagte, er habe dort viele Inder gesehen, also musste die Insel in der Nähe von Indien sein. Die Inder brachten ihn zu dem Prinzen von Sarandib. Dieser saß, wenn er ausritt, gewöhnlich auf einem Thron, der acht Ellen hoch auf dem Rücken eines Elefanten befestigt war, und wurde rechts und links in Zweierreihen von seinen Vasallen und Ministern begleitet. Vor ihm ging ein Herold mit einem goldenen Speer und hinter ihm ein zweiter mit einem goldenen Stab, der an der Spitze einen Smaragd hatte. Wenn er vom Thron herabstieg, um sich zu Pferd voranzubewegen, folgten ihm tausend Reiter, gekleidet in Seide und Brokat, und ein anderer Herold lief ihm voraus und rief, es nahe ein König, der eine Krone besitze, wie sie nicht einmal Salomon je besessen habe. Der Prinz gab Sindbad eine Audienz und stellte ihm viele Fragen über das Reich, aus dem er kam. Am Ende bat er ihn, dem Kalifen Harun al-Raschid einen Brief zu überbringen, in dem stand: »Es entbietet Dir seinen Friedensgruß der Prinz von Sarandib, vor dem tausend Elefanten stehen und in dessen Palast die Zinnen aus Juwelen sind. Wir betrachten Dich als einen Bruder und bitten Dich, uns eine Antwort zu senden. Und wir bitten Dich, dieses bescheidene Geschenk anzunehmen.« Das bescheidene Geschenk war ein riesiger Pokal aus Rubin, bis zum Rand mit Perlen gefüllt. Geschenk und Brief hatten den Namen des großen Harun al-Raschid noch angesehener in der arabischen Welt gemacht.
»Sicher war dieser Sindbad im Reich des Priesters Johannes gewesen«, sagte Baudolino, »Nur dass es auf Arabisch anders heißt. Aber er hat gelogen, als er sagte, der Priester habe den Brief und das Geschenk an den Kalifen gesandt, denn Johannes ist ein Christ, wiewohl ein nestorianischer, und wenn er jemandem einen Brief zu schicken hätte, dann würde er ihn an Kaiser Friedrich schreiben.«
»Dann lass uns doch diesen Brief schreiben«, sagte der Poet.
Bei ihrer Jagd nach Daten und Fakten, die sie zur Konstruktion des gesuchten Priesterreiches brauchen konnten, stießen unsere Freunde auf einen gewissen Kyot. Er war ein junger Mann aus der Champagne, der gerade eine Reise in die Bretagne hinter sich hatte und noch ganz erfüllt war von Geschichten über ruhelos umherziehende Ritter, Zauberer, Feen und Geister, die sich die Bewohner jenes Landes abends am Feuer erzählten. Als Baudolino ihm gegenüber die Wunder des Palastes des Priesterkönigs Johannes erwähnte, rief er ganz aufgeregt: »Ja, von solch einem Schloss oder einem ganz ähnlichen habe ich auch schon in der Bretagne gehört! Es ist das Schloss, in dem sie den Gradal aufbewahren!«
»Was weißt du über den Gradal?« fragte Boron mit einem plötzlichen Misstrauen, als hätte Kyot die Hand nach etwas ausgestreckt, das ihm gehörte.
»Was weißt denn du
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